Marc Rosset, Stan Wawrinka steht in Paris zum 3. Mal in Folge im Halbfinal. Was hat Sie an seinen Leistungen speziell beeindruckt?
Dass er gleich vom ersten Spiel an derart souverän aufgetreten ist. Wir alle kennen Stan und wissen, dass er normalerweise etwas Zeit braucht, um ins Turnier zu finden. Das war diesmal aber überhaupt nicht so, er hat bereits in der ersten Runde sehr stark gespielt und nie nachgelassen.
Sollte Murray so auftreten wie im Vorjahr, könnte es für Stan kompliziert werden.
Auf Sand lief es ihm vor dem Turniersieg in Genf nicht rund. Haben Sie daran gezweifelt, dass er rechtzeitig zur Topform finden würde?
Nein, nicht im Geringsten. Bei den Grand Slams, abgesehen von Wimbledon, war Stan in den letzten Jahren enorm konstant. Die Formel kommt ihm einfach entgegen: Mit 32 gesetzten Spielern ist er in den ersten Runden etwas geschützt. Dass «Best of Five» gespielt wird, verzeiht es ihm, wenn er einmal einen kleinen Durchhänger haben sollte. Ich war zu keiner Zeit besorgt, dass er hier ein gutes Resultat erzielen würde.
Es macht den Anschein, als ob der Turniersieg in Genf eine Art Erlösung war.
Das ist so. Es hilft immer, wenn man mit einem Sieg im Gepäck ans nächste Turnier reist. Auch wenn Genf nur ein 250er-Turnier ist, hat man gesehen, was es Stan bedeutet. Er war bei der Siegerehrung sehr emotional.
Im Halbfinal trifft Wawrinka wie schon im Vorjahr auf Andy Murray. Damals verlor er die Partie. Wie sehen Sie die Ausgangslage?
Sie ist eigentlich ziemlich identisch. Schaut man die Parcours der beiden an, ist Stan klar zu favorisieren. Das war im Vorjahr ähnlich. Und dann hat Murray seinen besten Match auf Sand überhaupt gezeigt. Er hat taktisch hervorragend gespielt und war nahe der Perfektion. Sollte er erneut so auftreten, könnte es für Stan kompliziert werden.
Diese Erfolge dürfen keinesfalls zur Routine werden.
Was zeichnet Murray Ihrer Meinung nach aus?
Er hat die aussergewöhnliche Gabe, den Gegner auf sein Level herunterzuziehen, wenn er selbst nicht gut spielt. Wir haben das zuletzt im Match gegen Kei Nishikori gesehen. Es war nicht Murray, der nach dem 1. Satz aufdrehte, sondern Nishikori, der sich unbewusst dem Niveau seines Gegners angepasst hat.
Im zweiten Halbfinal kommt es zum Duell zwischen Rafael Nadal und Dominic Thiem. Wie beeindruckt sind Sie von Nadals bisherigen Leistungen?
Extrem beeindruckt! Bei Rafa verhält es sich normalerweise wie bei Stan: Er braucht ein paar Spiele, um den Rhythmus zu finden. In diesem Jahr traf er aber vom allerersten Punkt an die Linien. Die Niederlage gegen Thiem in Rom hat ihm gut getan. Sie hat ihm im Training den nötigen Antrieb gegeben.
Dürfen wir uns auf eine ähnlich hochstehende Partie freuen wie in Rom?
Auf jeden Fall! Das Spiel beider Akteure ist wie für Sand gemacht, beide haben unglaublich viel Wucht in ihren Schlägen. Das wird für die Zuschauer ein fantastischer Match!
Mit Wawrinka und Timea Bacsinszky hat die Schweiz – trotz Abwesenheit von Roger Federer – wieder zwei Spieler mindestens in den Halbfinal eines Grand-Slam-Turniers gebracht. Wie aussergewöhnlich sind diese Leistungen?
Sie sind schlicht und einfach genial. Wir starten mit wenigen Athleten ins Turnier und sind am Ende immer prominent vertreten – unsere Erfolgsquote ist unglaublich! Wir müssen das zu zweitausend Prozent geniessen, diese Erfolge dürfen keinesfalls zur Routine werden.
Sendebezug: SRF zwei, sportlive, 7.6.17, 11 Uhr