Ihre Anwesenheit auf dem Tenniscourt ist immer grosses Kino – wenngleich in völlig verschiedenen Genres. Auf der einen Seite die «Maschine» Novak Djokovic, Entfesselungskünstler, bester Returnspieler der Welt und unter normalen Umständen kaum zu schlagen. Auf der anderen Seite Nick Kyrgios, ständig auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn balancierend, oft selbst sein grösster Gegner.
Am Sonntag also prallen diese Welten im Wimbledon-Final aufeinander (ab 15 Uhr live in der SRF Sport App) . Oder, um im Film-Duktus zu bleiben: Naturgewalt-Dokumentation trifft auf Tragikomödie. Für wen es in diesem Duell ein Happy End gibt? Die Buchmacher setzen klar auf den 20-fachen Grand-Slam-Champion Djokovic (ATP 3). In Zahlen ist es ein äusserst ungleiches Duell: Der Serbe kämpft in seinem 32. Major-Final um den 7. Wimbledon-Titel, den 4. in Folge. Für sein Gegenüber ist es hingegen das erste Endspiel in der allerhöchsten Turnierkategorie.
Die sportliche Bilanz hingegen macht Kyrgios (ATP 40) Mut: Der Australier gewann die einzigen beiden Direktduelle ohne Satzverlust, 2017 zwang er den «Djoker» sowohl in Acapulco als auch in Indian Wells in die Knie, jeweils auf Hardcourt. Nach dem Halbfinal-Forfait von Rafael Nadal geht Kyrgios zudem ausgeruht in den letzten Kampf an der Church Road.
Zaubertrank und Anklage
Egal, was für fast schon göttliches Tennis die beiden Finalisten in den vergangenen Wochen auf den «heiligen Rasen» gezaubert haben, die Schlagzeilen konzentrierten sich wiederum auf irdische Nebenschauplätze. So rätselten etliche Journalisten auch noch nach Djokovics Halbfinal-Erfolg, welche Substanz ihn in der Runde zuvor gegen Jannik Sinner auf Trab brachte. Der 35-Jährige wollte darauf nicht antworten und sprach von einem «Zaubertrank. Das ist alles, was ich sagen kann. Es hilft. Ihr werdet es bald herausfinden, aber ich kann jetzt nicht darüber sprechen.»
Kyrgios seinerseits musste sich mit einer Anklage wegen Körperverletzung befassen. Er soll seine Ex-Freundin Chiara Passari geschlagen haben, was unmittelbar vor seinem Drittrunden-Duell mit Stefanos Tsitsipas publik wurde. Am 2. August muss er sich in Canberra vor Gericht verantworten.
Von Beleidigungen zur Bromance
Vor dem Final sendete Kyrgios, 17'000 km von Australiens Hauptstadt entfernt, überraschende Worte in Richtung Djokovic: «Wir haben jetzt definitiv eine Art Bromance, was verrückt ist.» Sie schrieben sich hin und wieder auch Nachrichten. Dabei hatte früher wenig auf eine solche Freundschaft hingedeutet. Kyrgios unterstellte Djokovic die «Besessenheit, gemocht zu werden». Er wolle zwanghaft «wie Roger Federer sein. Das ist einfach nur beschämend.»
Doch seit Januar ist alles anders. Seit Djokovic versuchte, ohne Impfung in Kyrgios' Heimatland Australien einzureisen, scheiterte und im Kreuzfeuer der Kritik stand. Damals sprang ihm der 27-Jährige öffentlich zur Seite.
Am Sonntagnachmittag jedenfalls wird diese «Bromance» zugunsten eines Tennis-Krimis ruhen müssen, Action und Drama sind vorprogrammiert. Vergessen Sie also Erdbeeren und Sahne, stellen Sie besser eine grosse Schüssel Popcorn bereit.