Die Unterstützung des Heimpublikums wird ihm gewiss sein: Erstmals seit Andy Murray 2016 steht mit Cameron Norrie wieder ein Brite im Halbfinal am Heimturnier in Wimbledon. Wobei Brite in diesem Fall weit gefasst ist: Geboren wurde Norrie in Johannesburg, Südafrika. Aufgewachsen ist der Sohn eines Schotten und einer Waliserin dann in Neuseeland, für dessen Verband Norrie bis zu seinem 18. Lebensjahr spielte.
Erst seit 2013 tritt er unter der Flagge Grossbritanniens an. Im gleichen Jahr erhielt Norrie ein Sport-Stipendium an der Christian University in Fort Worth, Texas. Seine Premiere auf der World Tour feierte er dann 4 Jahre später mit einer Wildcard am Rasenturnier im Queen's Club in London.
Durchbruch 2021 mit Sieg in Indian Wells
So richtig ging Norries Stern aber erst 2021 auf. Im mexikanischen Los Cabos gelang ihm Ende Juli sein erster Turniersieg auf Stufe ATP. Und Mitte Oktober sorgte er für ein Ausrufezeichen mit dem Triumph am ATP-1000-Turnier in Indian Wells. Seither ist der 26-Jährige permanent unter den Top 20 anzutreffen, aktuell auf Rang 12. Nun hat der Linkshänder mit dem erstmaligen Halbfinal-Einzug in Wimbledon für ein weiteres Glanzlicht gesorgt.
Eine normale Person würde das keine Minute aushalten.
Norrie ist für seine aussergewöhnliche Fitness und Leidensfähigkeit bekannt, die er auch in Wimbledon unter Beweis stellte. Zweimal musste er über 5 Sätze (2. Runde und Viertelfinal) gehen, beide Male kämpfte er sich nach einem 1:2-Satzrückstand zurück.
Wohlfühloase «Red Zone»
Vielleicht sei seine Ausdauer auf seine aussergewöhnlich grossen Lungen zurückzuführen, meinte Norrie einst. «Bei einem Spitaluntersuch während seiner College-Zeit wurde ich gefragt, ob ich Tiefsee-Taucher sei.»
Auch sein Trainer Facundo Lugones bestätigt: Norrie könne fast 10 Minuten in der sogenannten «Red Zone» – in einem Belastungsbereich von über 200 Herzschlägen pro Minute – verbringen. «Eine normale Person würde das keine Minute aushalten.»
Djokovic in Wimbledon seit 26 Spielen unbesiegt
Lugones meint gar, dass wohl kein anderer Spieler auf der Tour so viel in seine Fitness investiere wie Norrie. Nach dem 5-Satz-Marathon gegen David Goffin (BEL/ATP 58) im Viertelfinal meinte der Brite mit Tränen in den Augen: «Ich erinnerte mich an all die harte Arbeit und die Opfer, die ich gebracht habe. Es hat sich endlich ausgezahlt. Das fühlt sich gut an.»
Mit Novak Djokovic (ATP 3) steht Norrie nun die wohl grösstmögliche Aufgabe in Wimbledon bevor. Der Serbe ist an der Church Road seit 26 Spielen ungeschlagen, gewann das Turnier zuletzt 3 Mal in Folge. So meinte Norrie nach seinem Viertelfinal-Sieg: «Ich kann es jetzt nicht zu sehr geniessen. Ich muss mich in den nächsten Tagen auf Novak vorbereiten.» An der Fitness sollte es auf jeden Fall nicht scheitern.