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Corona Australien «Normalität» in Australien – zu welchem Preis?

Australien ging von Anfang an rigoros gegen die Pandemie vor. Das Resultat: Ein fast normales Leben. Ein Schweizer in Sydney erzählt aus seinem Alltag.

Trotz Lockerungen scheint die Schweiz noch weit entfernt von «Normalität». Anders sieht es in Australien aus: In gewissen Regionen sind Geschäfte und Restaurants geöffnet, die Maskenpflicht ist aufgehoben.

In Sydney ist schon fast die alte Normalität zurück. Privat dürfen sich bis zu 30 Personen treffen, bei einer Hochzeit sind bis zu 300 Gäste erlaubt und Konzerte finden wieder statt.

Auch der Schweizer Thomas Fuchs arbeitet wieder in seinem Coiffeursalon. Er geniesst die Freiheit: «Wir wissen natürlich, dass es in Europa nicht ganz so gut läuft und sind umso dankbarer, dass die Regierung richtig reagiert hat. Und dass sie uns so weit gebracht haben, wie wir jetzt sind.»

Hinter der wiedergewonnenen Freiheit steckt eine harte Strategie: Seit März 2020 hat Australien die Grenzen geschlossen. Denn in der ersten Welle seien 60 Prozent der Fälle von Einreisenden eingeschleppt worden, so die australische Epidemiologin Raina MacIntyre.

Wer zurück nach Australien reist, muss zuerst abwarten: «Jeder muss in ein bestimmtes Hotel für zwei Wochen in Quarantäne und wird getestet, bevor er es verlassen darf», sagt MacIntyre. Bezahlen muss das jeder selbst, bei einem Kostenpunkt von mindestens 2000 Franken. Nicht jeder kann sich das leisten. Darum sitzen geschätzt 40'000 Australierinnen und Australier irgendwo auf der Welt fest.

Hinzu kommt ein Contact-Tracing mittels eines QR-Codes: Beim Restaurant-oder Coiffeur-Besuch wird ein- und ausgecheckt, die Daten gehen direkt an die Behörden. Kommt es zu neuen Covid-19-Infektionen, müssen ganze Städte oder Regionen in den Lockdown. «Für Geschäfte ist das eine Katastrophe», sagt Thomas Fuchs.

Die drakonischen Massnahmen für Australiens neue «Normalität» erfordern vor allem eines; eine regierungstreue Bevölkerung. «In freiheitsliebenden Ländern kann es den Menschen gegen den Strich gehen, solche Massnahmen durchzuführen.» so die Epidemiologin MacIntyre.

Martin Ackermann: «Testen allein verhindert keine Ansteckung»

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Moderatorin spricht am Stehpult mit Ackermann

Daniela Lager spricht mit Martin Ackermann, Präsident der Science Task Force des Bundes, über mögliche Massentests und die neuen Lockerungsschritte.

SRF News: «Test and Trace» lautet die Empfehlung in Australien. Es gibt inzwischen einen Hals-Nasenabstrich, Spucktests, Antigen-Schnelltests usw. Werden die Testmöglichkeiten in der Schweiz schon voll ausgenützt?

Martin Ackermann: Es gibt noch viel Potenzial. Es ist nicht nur wichtig, welche Art von Tests man braucht. Sondern die grosse Frage ist: «Wen testet man wo in welcher Situation?»

Was ist dabei das Wichtigste?

Der erste Schritt ist es, sich bei Symptomen sofort testen zu lassen. Das muss aufrechterhalten bleiben. Dann muss man dort testen, wo das Virus ist – bei den Leuten, die an den Arbeits- oder Ausbildungsplatz gehen. Und dass man dort hingeht und die Leute mit dem grössten Risiko für eine Infektion schnell und regelmässig testet.

Bei Massentests steht der Bund auf der Bremse. Wird sich das ändern?

Ich habe den Eindruck, dass beim Bund sehr viel Interesse und Bereitschaft da ist, das hochzufahren.

Das heisst Schulen, Heime, Firmen und Private sollten bald auch selbst einfach und schnell testen können?

Einfach und schnell und regelmässig testen: Leute, welche das grösste Risiko haben, infiziert zu sein.

Nach einem Jahr Corona weiss man bei rund der Hälfte der Fälle noch immer nicht, wie und wo sie sich angesteckt haben. Sind Sie zufrieden mit dem Contact-Tracing in der Schweiz?

Offenbar hat es dort noch Potenzial. Aber ganz wichtig: testen alleine bringt noch nicht und man verhindert keine Ansteckung. Nach einem Test muss eine Handlung folgen. Die positive Person muss sich isolieren und man muss versuchen, deren Kontakte zu finden.

Aber technisch wäre viel mehr möglich?

Ja, und ganz wichtig ist die Geschwindigkeit. Wenn ich heute Symptome habe und morgen ein positives Testresultat bekomme, kann es sein, dass ich schon jemanden angesteckt habe. Und diese Personen werden morgen bereits jemand anders anstecken. Die muss man finden, damit sie in Quarantäne gehen. Schnell sein ist extrem wichtig.

Der Bund plant, Läden wieder zu öffnen und grössere Gruppen draussen zuzulassen. Steht die Task Force hinter diesen Schritten?

Ich sehe es nicht als unsere Rolle, den Bund zu beurteilen. Wir sind da, um zu beraten. Wir sagen, dass wir in einer Situation mit sehr grossen wissenschaftlichen Unsicherheiten sind. Im Moment ist es sehr schwierig, Prognosen zu machen. Es ist wichtig, kleine Schritte zu machen bei den Lockerungen und dazwischen genug lange zu warten, um zu schauen, was die Konsequenzen sind. Weitere Entscheide müssen dann auf den Beobachtungen abzustützen.

11 Kantone wollen schnellere Lockerungen. Warnen Sie davor oder gibt es einen Spielraum?

Das ist schlussendlich eine politische Entscheidung. Aus wissenschaftlicher Sicht ist klar: Grosse Lockerungsschritte bergen ein grosses Risiko. Aus meiner Sicht wäre es sehr schade, wenn wir die ausgezeichnete Ausgangslage, die wir jetzt haben, verspielen würden.

Puls, 22.02.2021, 21:05 Uhr

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