Das Leben mit dem Virus fordert alle. Besonders hart trifft es aber jene, die sich schon zuvor in der Welt verloren fühlten: Menschen, die an Demenz leiden.
Abstand halten, Maske anziehen und niemanden berühren – diese Regeln in einem Heim für Demenzkranke einzuhalten, ist praktisch unmöglich.
Ohne Nähe geht es nicht
Simona Peyer arbeitet als Pflegefachfrau im Pflegeheim Sennhof in Vordemwald. Für sie ist Nähe ein wichtiger Teil der Arbeit. «Eineinhalb Meter Distanz einhalten geht bei der Pflege einfach nicht, weil wir ohne Berührungen nicht auskommen.» Auch psychisch seien die demenzkranken Bewohner des Pflegeheims auf eine haltende Hand oder eine Umarmung angewiesen.
Doch mit der Nähe bleibt auch das Ansteckungsrisiko. Hinzu kommt, dass die Betreuenden eine Maske tragen, welche die Mimik verdeckt und die Kommunikation mit den Bewohnern erschwert.
Plötzlich isoliert
Im Pflegeheim Sennhof brach im November Covid-19 aus. Alleine in der geschützten Abteilung, dort, wo Menschen mit Demenz wohnen, erkrankten 19 der 29 Bewohner, zwei verstarben. Plötzlich mussten die Bewohner möglichst auf ihren Zimmern bleiben, begriffen nicht warum.
Die Bewohner haben unterschiedlich darauf reagiert. «Eine Frau ist sehr traurig und ruhig geworden, es hat sie sehr verändert», erinnert sich Simona Peyer. «Wir hatten aber auch Bewohner, die keine fünf Minuten in ihren Zimmern blieben. Es ging ihnen gut, sie hatten praktisch keine Symptome und einen hohen Bewegungsdrang.»
Viele Bewohner haben diesen Drang, laufen stundenlang hin und her. Solche Menschen könne man nicht im Zimmer behalten.
«Wir müssen die Leute auch menschlich betreuen»
Mittlerweile sind Besuche von Angehörigen unter strengen Massnahmen wieder möglich. In einem separaten Zimmer, mit Voranmeldung und Maske, dürfen sich Bewohner und Angehörige wieder begegnen, umarmen, erinnern.
Für Heimarzt Simon Gerschwiler geht es dabei um die Würde seiner dementen Patienten. Um diese auch in ihrer letzten Lebensphase zu wahren, sei eine komplette Abschottung nicht möglich. Die Menschen sollen menschlich betreut werden. «Da gibt es auch immer wieder mal eine Massnahme, die man ein Stück weit lockern muss, damit die Leute ein würdiges Leben behalten.»
Nähe und Bewegung hilft den Demenzkranken im Kampf gegen das Vergessen, schafft Lebensqualität. Das Virus kommt dem in die Quere. Der gangbare Weg zwischen Sicherheit und Freiheit bleibt ein Dilemma.
«Auch Seele, Geist und Beziehungen sind zu schützen»
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Markus Leser ist Gerontologe und Leiter des Fachbereichs «Menschen im Alter» beim Verband CURAVIVA Schweiz. Daniela Lager sprach mit ihm über die Situation in den Alters- und Pflegeheimen.
SRF: Angemessene Betreuung von Demenzkranken und Coronaschutzmassnahmen – geht das überhaupt zusammen?
Markus Leser: Es ist schwierig und es zeigt auch das Dilemma, in dem wir uns befinden – bei Menschen mit Demenz aber auch bei hochbetagten Menschen. Schutz ist immer ein ganzheitlicher Schutz; es ist nicht nur der Körper zu schützen, sondern auch die Seele, der Geist, die Beziehungen. Das ist immer ein Herausfinden der bestmöglichen Gelegenheit für die älteren Personen.
Rund die Hälfte der Menschen, die in der Schweiz an Covid-19 verstorben sind, waren Menschen aus Heimen. Man konnte von der «Todeszone Heim» lesen.
Leider. Ich mag den Begriff überhaupt nicht und würde ihn auch gerne uminterpretieren in «Lebenszone Heim», «Lebenszone bis zum Tod». Es ist so, dass im Heim Menschen sterben – an Corona leider –, es sterben aber auch Menschen generell in den Heimen, weil sie am Lebensende sind. 2018 waren es 44 Prozent. Es gibt auch Menschen, die wieder gesund werden. Es gibt eine ganze Palette.
Einige Heime machen es sich vielleicht auch etwas einfach. Sie schliessen die Eingangstüre, setzen Menschen in ihren Zimmern in Isolation. Machen Sie hier als Verband genug, um den Heimen andere Möglichkeiten zu geben?
Machen wir. Aber die Heime sind sehr unterschiedlich. Ein Heim mit einer Ausbruchssituation, mit vielen infizierten Menschen, muss anders handeln. Da brennt es, da muss man aktiv sein. Anders als in Altersheimen ohne Fälle. Das muss man differenzieren, das ist uns wichtig.
Aber um einen Ausbruch zu verhindern – hätte man nicht längst Bewohnerinnen und Bewohner, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter testen können?
Das macht man jetzt auch, das ist extrem wichtig und das fordern wir auch als Verband. Dass eine niederschwellige Teststrategie geschaffen wird, ohne viel administrativen Aufwand, dass ohne Bürokratie vor Ort mit Unterstützung getestet werden kann.
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