Gegen 100 Millionen Menschen weltweit tauschen sich auf der Plattform Facebook aktiv über Impffragen aus. Die grosse Mehrheit interessiert sich einfach fürs Thema. Daneben gibt es jene, die sich entweder für oder gegen das Impfen einsetzen.
Impfgegner sind besser vernetzt
Wer in diesen beiden Gruppen wie miteinander vernetzt ist, hat Neil Johnson untersucht und kürzlich in der Fachzeitschrift Nature publiziert . Johnson ist Spezialist für komplexe Systeme an der George Washington Universität. Sein Fazit: Die Impfgegner – oder -Skeptikerinnen – sind zwar eine Minderheit, aber viel besser vernetzt als die rund doppelt so zahlreichen Befürworter.
Denn: Die Skeptiker sind viel stärker in kleine Communitys aufgeteilt – sie haben eigene Seiten, Gruppen oder Foren mit Akteuren und Fans. Das macht sie auf Facebook gut sichtbar.
«Zugleich verkaufen sie sich auch gut: Sie machen Videos mit persönlichen Geschichten, vermischt mit wissenschaftlichen Zitaten. Diese Videos sind sehr gut gemacht», sagt Johnson.
Unter anderem deshalb können sich die Impfgegner auch besser als die Befürworter mit der wichtigen Gruppe der rund 70 Millionen Unentschiedenen vernetzen. Von dieser Gruppe erreichen sie rund 50 Millionen.
Impfgegner schüren Wissenschaftsskepsis
Neil Johnson findet das besorgniserregend. Aus gutem Grund: «Vielen geht es nicht nur ums Impfen. Sie schüren eine grundlegend wissenschaftsskeptische Haltung.»
Denn in die Impfkritik der Facebook-Aktivisten fliesse oft auch Misstrauen gegenüber Behörden und Konzernen ein. Oder auch gegen die Klimaforschung.
Genau die Mischung also, wie man sie kürzlich auch in der Schweiz auf Plakaten der Anti-Corona-Demos sah. Mike Deml, Soziologe am Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut in Basel, war etwas schockiert über diese Demonstrationen.
«Ich komme aus den USA. Die dortigen Demonstrationen mit ähnlichem Hintergrund haben mich nicht gross überrascht. Aber so etwas in der Schweiz zu sehen, das erstaunt mich», sagt der Wissenschaftler, der im Nationalen Forschungsprogramm NFP74 zu Impfskepsis in der Schweiz forscht.
Impfskeptiker auch in der Schweiz
«In der Schweiz gibt es eigentlich keine extremen Impfgegner-Bewegungen oder -Gruppen, wie man sie in anderen Ländern sieht», sagt der Soziologe Deml.
Zwar gibt es in der Schweiz impfskeptische Gruppen, die sich im Internet abschotten. Auch hat letztes Jahr eine internationale Befragung gezeigt, dass in der Schweiz gut 20 Prozent der Menschen Impfungen für nicht oder «eher nicht» sicher halten.
Alternativmediziner sind offen fürs Impfen
Doch was die Leute sagen – sei es in Befragungen oder auf Facebook – und was sie wirklich tun, sei nicht unbedingt dasselbe, betont Mike Deml. Wer Impfungen kritisch hinterfragt, lässt sich oder die Kinder am Ende oft trotzdem impfen – auch nach Beratungen durch homöopathische und andere alternativmedizinische Ärztinnen und Ärzte.
Sie stünden zu Unrecht im Ruf, kategorisch Impfskepsis zu verbreiten. Viele würden offen über Risiken und Wirkung von Impfungen informieren, hat Mike Deml festgestellt: «Ich habe eine Reihe von alternativmedizinischen Ärztinnen und Ärzten befragt und war überrascht zu sehen, dass sie nicht kategorisch gegen das Impfen sind, sondern offen für Impfempfehlungen.»
Impfanteil in der Schweiz nimmt zu
Auch wenn es für die Schweiz eine Herausforderung bleibt, ihre Impfziele etwa bei Masern zu erreichen: Der Anteil der Geimpften bei Kinderkrankheiten nimmt laufend zu, wenn auch nur leicht. Diese Entwicklung werde noch unterstützt durch das hierzulande hohe Vertrauen in die Regierung. Dieses Vertrauen korreliert nämlich mit der Haltung zum Impfen:
«In Ländern, in denen die Bevölkerung den Gesundheitsbehörden, Ärztinnen oder Regierungen wenig traut, lehnt sie auch die von ihnen lancierten Impfprogramme eher ab», weiss der Soziologe.
Wissenschaftsskepsis – nicht in der Schweiz
In der Schweiz lehnen laut Experten nur um die drei Prozent der Menschen das Impfen kategorisch ab. Wie die aktuelle Studie in Nature zeigt, verschaffen sich solche oft generell wissenschaftsskeptischen Gruppen zumindest im Internet viel Aufmerksamkeit.
Ob diese Gruppierungen in Zeiten von Corona mehr Zuwachs finden werden, ist offen. In der Schweiz, so scheint es, ist das Potenzial eher klein.