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Leben nach Covid-19 Im Frühling Corona, im Winter der Spott

Covid-Patient Stephan Feuz ist gesundet, aber frustriert über Corona-Leugner und das Zaudern der Politik.

Mitte Dezember, wenige Tage vor der schweizweiten Verschärfung der Corona-Massnahmen: Stephan Feuz macht mit einem Arbeitskollegen eine Kaffeepause im Freien – und ärgert sich hörbar über den bisherigen Umgang von Bund und Kantonen mit der zweiten Coronawelle. «Da blickt doch kein Mensch mehr durch, welche Bestimmungen jetzt wo gelten!»

Dass viele das Virus auf die leichte Schulter nehmen, begreift er ebenso wenig: «Es ist unbegreiflich, wie leichtsinnig gewisse Leute damit umgehen!»

Als Direktbetroffener nimmt Stephan Feuz die Lage besonders ernst. Heute ist er wieder gesund und voll berufstätig. Doch im Frühling hätte er an Covid-19 sterben können. Was auch an seinem Arbeitskollegen nicht spurlos vorbeiging.

«Natürlich habe ich es danach viel ernster genommen», erinnert sich Roger Jola. Im Frühling habe man das so ja noch nicht gekannt. «Man hörte zwar von Fällen, aber im eigenen Umfeld kannte ich noch keine Betroffenen. Als ich dann aber mitbekommen habe, wie es Stephan erwischt hat, bin ich doch ziemlich erschrocken.»

Ende März 2020: Stephan Feuz wird zum Covid-19-Notfall: künstliches Koma, 13 Tage Beatmungsgerät. In der Rehaklinik muss er neu atmen lernen. Dann der Rückschlag: Lungenentzündung. Zurück ins Spital.

72 Tage lang kämpft er sich in Spitälern und der Reha-Klinik von ganz unten wieder hoch. Es wird Juni, bis er einigermassen genesen nach Hause zurückkehren kann. Im Sommer steigt Stephan Feuz auch wieder ins Berufsleben ein und steigert nach und nach das Pensum.

Seit seiner Erkrankung fasst er ab und zu eine Parkbusse, vergisst einfach zu bezahlen: «Ich bin immer noch etwas vergesslich. Verpasse es ab und zu, beim Parkieren die App zu stellen. Das ist doof.»

Noch immer spürt Stephan Feuz also gewisse Covid-Spätfolgen. Doch grundsätzlich hat er sich sehr gut erholt. Auch sein Haar, das nach Covid-19 ganz dünn war und stellenweise ausfiel, ist jetzt wieder so dicht wie zuvor. Der Besuch im Coiffeursalon: ein wiedergewonnenes Stück Normalität.

Der lange Weg zurück aus dem Krankenbett

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Das Coronavirus traf Stephan Feuz und Josef Schmid im März mit Wucht. «Puls» begleitet die beiden seither auf dem langen Weg der Genesung.

Alle Folgen der Serie: Covid-19 überstanden – und dann?

Im beruflichen und privaten Umfeld wird Stephan Feuz meistens viel Verständnis entgegengebracht. Er begegnet aber auch Skeptikern, zum Beispiel online in den sozialen Medien.

Manchmal reagiert er auf zweifelhafte Behauptungen, fordert als Betroffener dazu auf, Covid-19 nicht zu verharmlosen – und erlebt im Gegenzug Spott und Häme. «Eine Zwanzigjährige hat unter anderem geschrieben, ich hätte mich doch ins Koma gesoffen. Es sei ein Fakt, dass es das Virus gar nicht gebe... Lauter so Sachen halt.»

Zu Beginn hat sich Stephan Feuz noch auf Diskussionen eingelassen. Zurückgeschrieben. Argumentiert. Bis er es endlich aufgegeben hat. «Es bringt einfach nichts. Irgendwann muss man da einen Schnitt machen und diese Leute sperren. Denn die hören ja nicht auf.»

Für Corona-Leugner hat Stephan Feuz keinerlei Verständnis. Vielmehr kritisiert er die Corona-Politik der letzten Monate als viel zu lasch und zeigt als Beleg das Foto eines überfüllten Zugabteils mit Maskenträgern dicht an dicht: «Da läuft doch einiges falsch. Da müssen doch einfach mehr Kompositionen an die Züge gehängt werden. Wenn man solche Bilder sieht, ist das wirklich schwierig nachzuvollziehen.»

An Weihnachten werden Stephan Feuz und seine Partnerin auf grosse Einladungen verzichten. Den traditionellen Haus-Apéro haben sie gestrichen.

Daniela Böck war selbst an Covid-19 erkrankt. Vorsichtig zu sein, ist auch für sie selbstverständlich. «Wir haben auch im engen Bekanntenkreis Leute, die das nicht ernst nehmen, obwohl sie Stephan gut kennen. Da werde ich manchmal richtig wütend und sage ihm, er soll gar nicht mehr antworten.» Ja, das ärgere sie jeweils deutlich stärker als ihn.

Wie alle wünscht sich Stephan Feuz nichts mehr, als dass der Spuk bald vorbei ist. Trotzdem würde er sich selbst nicht als «Corona-müde» bezeichnen. Er bleibt da nüchtern: «Wir müssen halt irgendwie damit umgehen. Das ist sicher nicht für jeden gleich einfach, und bei jenen, die alleine sind, kann das psychisch wirklich anhängen. Aber wir müssen halt auf die eine oder andere Art durchhalten.»

Von der Politik erhofft sich Stephan Feuz dabei wenig Unterstützung. Der Umgang mit der zweiten Welle bekommt von ihm sehr schlechte Noten. «Mir kommt das etwas vor wie ein Komplettversagen der Politiker. Die können sich ja nicht zusammenraufen… links und rechts und Mitte, sie kommen nicht auf einen gemeinsamen Nenner.»

Berset: «Wir versuchen eine Krise zu meistern»

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Legende: srf

Die Politik steht zurzeit stark in der Kritik. Hat der Bundesrat richtig gehandelt? Gesundheitsminister Alain Berset nimmt im Interview Stellung.

SRF: Stephan Feuz hat es sehr deutlich gesagt: Trotz dieser Herausforderung bringt es die Politik nicht auf die Reihe. Links, Rechts, Mitte – jeder kocht sein Süppchen, statt gemeinsam etwas zu tun.

Alain Berset: Ein Süppchen nicht gerade, aber man muss schon sehen, dass es in einer Demokratie schwierig ist, einen Weg zu finden, den wirklich alle unterstützen. Herr Feuz hat es selber gesagt: Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der nicht einmal glaubt, dass dieses Virus existiert. Dafür habe ich auch kein Verständnis, aber es ist eine Realität in unserem Land. Und dann es gibt Leute, die viel weitreichendere Massnahmen wollen. Da müssen wir einen Weg finden.

Dann muss man sich auch bewusst sein: Die Möglichkeiten der Politik sind begrenzt. Man kann in einer Verordnung schreiben, was man will: Wenn es nicht respektiert wird, hat man keine Chance! Seit Beginn der Pandemie ist klar, was etwas bringt: Abstand halten, Hände waschen. Unterdessen ist auch klar, dass Maske tragen nützt. Das kann man alles in Verordnungen schreiben, aber das alleine reicht nicht. Es geht nicht nur um das Handeln der Politik, sondern auch um die Akzeptanz dieser Massnahmen und ihre Umsetzung.

Sie haben sich auch geärgert, als sie Bilder vom überfüllten Zug gesehen haben, oder?

Wir versuchen eine Krise zu meistern. Das ist nicht ganz einfach. Es werden immer Fehler passieren und immer wieder Probleme auftauchen. Es ist auch gut, wenn man das sieht. Man darf aber nicht generalisieren. Ich habe eher den Eindruck, dass es bis jetzt im Land eher gut gelaufen ist. Die Leute haben Verständnis für diese Massnahmen, sie setzen sie um – aber es gibt immer wieder Leute, die das nicht machen wollen. Und das schafft uns klar Sorgen und Probleme.

Was Stephan Feuz und viele andere auch nicht verstehen: Wie die Schweiz zugelassen hat, dass es 6202 Tote gibt wegen Corona. Viel mehr als in vergleichbaren Ländern. Welche Interessen hatten da Vorrang?

Ich würde das bestreiten. Viel mehr als in anderen Ländern sind das nicht. Schauen Sie nach Österreich, die sind nicht so weit von uns entfernt…

Bei den Todeszahlen schon.

Ich muss es noch einmal betonen: Wir versuchen eine Krise zu meistern. Zu Beginn haben wir sehr hart reagiert, mit sehr vielen Massnahmen, weil niemand wusste, was kommt. Dann konnten wir lockern. Es war aber auch notwendig für die Gesellschaft, wieder einmal aufatmen zu können. Da waren wir sehr wahrscheinlich zu offen im Sommer. Das muss man im Nachhinein sagen, aber man weiss es eben nur im Nachhinein. Im Sommer habe ich jedenfalls niemanden sagen hören: «Skandalös! Man darf doch nicht nach draussen gehen!» Es war akzeptiert. Nun hat uns die zweite Welle im Herbst sehr hart getroffen und wir tun wieder unser Bestes, darauf zu reagieren.

Bei all dem war für den Bundesrat die Gesundheit der Menschen immer die oberste Priorität. Bei allen Entscheiden stand das im Vordergrund, aber man muss dabei auch immer die Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft im Auge behalten. Den psychischen Druck, die Angst um den Arbeitsplatz. Die Pandemie hat sehr viel Leid verursacht, und unser Ziel als Bundesrat ist es, das Leid zu vermindern. Es soweit als möglich zu verringern, und das in einer Krisensituation, wo wir nach wie vor sehr wenig über dieses Virus wissen.

Das Gespräch führte Daniela Lager.

Nachgefragt bei Bundesrat Alain Berset

Puls, 21.12.2020, 12:05 Uhr

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