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Schweizer Pilotprojekt Freiwillige Massentests als Alternative zu Corona-Lockdowns?

Graubünden bietet ab Freitag in drei Regionen gratis Corona-Schnelltests an. Das Ausland hat damit bereits Erfahrung.

Mit verschärften Massnahmen und ausgiebigem Testen die Coronazahlen in den Griff bekommen: Der Kanton Graubünden wird schweizweit Vorreiter in Sachen Massentests. Das Mitmachen in den Regionen Maloja, Bernina und Val Mustair ist vom 11. bis 13. Dezember freiwillig und gratis – wie letztes Wochenende in Österreich.

Welche Erfahrungen hat man dort gemacht? «Puls» begab sich für einen Augenschein nach Bregenz. Hier und andernorts sollen sich möglichst viele der 400'000 Einwohnerinnen und Einwohner des Bundeslands Vorarlberg auf das Coronavirus testen lassen.

Landesrat Christian Gantner ging mit gutem Beispiel voran. Von den Massentests erhofft er sich einiges: «Wir wollen einen besseren Überblick über die Situation im Land und den Gemeinden bekommen und entdecken vielleicht auch Hotspots, die wir bislang noch nicht auf dem Schirm hatten.»

Für die Schweiz verfolgt Roman Stocker von der ETH Zürich, wie andere Länder testen. Er leitet in der Covid-Taskforce die Expertengruppe «Exchange platform» und sieht grosses Potenzial in solchen Massentests. «Sollte sich diese Massnahme als wirksam erweisen, wäre das eine denkbare Alternative zu einem Lockdown – zu einem Bruchteil der Lockdown-Kosten.»

Schon länger warnen Taskforce-Mitglieder, dass die Schweiz bereits heute mit den normalen Angeboten zu wenig testet. In einer Analyse halten sie fest: «Kein anderes europäisches Land hat das Testen zwischen April und Oktober 2020 weniger ausgeweitet als die Schweiz. Bezogen auf ihr Pro-Kopf-Einkommen ist sie das Land, das am wenigsten testet.»

Das Bundesamt für Gesundheit BAG prüft zurzeit, wie und wann solche Massentests schweizweit durchgeführt werden könnten. Virginie Masseray, Leiterin Sektion Infektionskontrolle und Impfprogramm, gibt sich aber noch zurückhaltend und will erst die Bündner Erfahrungen abwarten. «Wir müssen schauen, ob sich ein solcher Aufwand lohnt.»

Dass es mit Massentests alleine nicht getan ist, hat etwa das Beispiel der Slowakei gezeigt. Trotz eines ersten Durchgangs stiegen die Fallzahlen wieder an, da Abstände nicht mehr eingehalten wurden und auch das Contact-Tracing nicht gut abgestimmt war. Die Behörden verschoben daraufhin weitere Massentests – auch aus Kostengründen.

Um die Fehler der Slowakei nicht zu wiederholen, hat Vorarlberg jetzt schon weitere Massnahmen geplant. «Sollten wir auf Gemeinden oder Regionen mit Hotspots stossen, wird es dort vor Weihnachten eine erneute Testrunde geben», betont Landesrat Christian Gantner. «Im neuen Jahr ist zudem geplant, wieder eine flächige Aktion zu machen.

Nachtestungen, Contact-Tracing und eine gute Organisation sind für ein erfolgreiches Massentesten ein Muss, so Roman Stocker. Das allein reicht aber noch nicht. «Die grösste Hürde ist die Bereitschaft der Bevölkerung, in ausreichend grosser Zahl mitzumachen.» Würden weniger als 60 bis 80 Prozent teilnehmen, sei so ein Massentest nicht sehr sinnvoll.

Wie schwierig es ist, die Leute zum freiwilligen Mitmachen zu bewegen, zeigte das vergangene Testwochenende im Vorarlberg. Trotz einer aufwändigen Informationskampagne liessen sich nur gerade 31 Prozent testen. Viel zu wenige für den Idealfall. Und doch konnten rund 500 Personen mit einem positiven Resultat gefunden werden. Sie alle hatten keine Symptome und hätten, ohne es zu bemerken, weitere Menschen anstecken können.

Puls, 07.12.2020, 21:05 Uhr

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