Zwischen ihren Entdeckungen liegen drei Jahrzehnte, doch die Erkenntnisse sind nur miteinander komplett: Die drei diesjährigen Nobelpreisträger im Bereich Medizin haben das innere Navigationssystem aufgespürt. Einer von ihnen, John O`Keefe, hat den ersten Baustein dazu bereits Anfang der 1970er-Jahre gefunden.
Er entdeckte, dass sich im Hippocampus im Gehirn ein ganz bestimmter Typ Nervenzellen befindet – und zwar in einer Art, die bislang gänzlich unbekannt war: Diese Nervenzellen waren immer dann aktiv, wenn sich Laborratten jeweils an einer ganz bestimmten Stelle in einem Raum befanden. Andere Nervenzellen waren dagegen in Aktion, wenn das Tier an anderen Orten war. O’Keefe folgerte daraus: Diese «Place cells» (Ortszellen) bilden eine Karte eines Raumes in den Köpfen der Ratten. Für verschiedene Orte sind also spezielle Ortszellen zuständig – etwas, das im Multitasker Gehirn bis dato so noch nicht zu sehen war. Durch das speziell abgespeicherte Muster wird dann Ort A nicht mit Ort B verwechselt, sondern individuell wiedererkannt.
Ergänzung aus Norwegen
Über drei Jahrzehnte später, im Jahr 2005, fügte das norwegische Forscherehepaar May-Britt und Edvard Moser der Entdeckung O’Keefes einen weiteren Baustein hinzu: einen Typus Nervenzellen, die sie «Grid cells» nannten, also Rasterzellen, die eine Art Koordinatensystem bilden und so die präzise Standortbestimmung, aber auch das Finden des direkten Wegs von A nach B ermöglichen. Diese Rasterzellen sind hoch aktiv, sie «feuern» an ganz speziellen Stellen, wenn wir uns räumlich bewegen. Und zwar in einem sehr spezifischen Muster: Abgebildet ergibt sich jeweils ein Hexagon der Nervenaktivität.
Diese Sechsecke überschneiden sich so, dass schlussendlich jeder Punkt in der Umgebung mit diesem Raster oder Gitter überzogen ist. Die Rasterzellen sind verknüpft mit weiteren Zellen, die jeweils wieder spezielle Aufgaben übernehmen – beispielsweise Zellen, die wie ein Kompass arbeiten und bewirken, dass wir den Richtungssinn trotz Kopfbewegungen nicht verlieren. Andere Zellen sind für die Erkennung von Grenzen zuständig. Alle Zellen wiederum stehen in direkter Verbindung zu den Ortszellen, die O'Keefe entdeckt hat.
Von Orientierungspunkten und Navigationsrastern
Auf diese Art haben wir nicht nur ein Gespür dafür, wo wir uns befinden, sondern wir können uns an bekannten Orten sicher bewegen – und sogar an Orten, die wir erstmals begehen. Dazu braucht es zur Orientierung einerseits die Fähigkeit der richtigen Verortung der eigenen Person in der Umgebung sowie das Gefühl für Distanzen und Ausrichtung an gewissen Orientierungspunkten.
Oder bildlich erklärt: Stellen Sie sich vor, Sie fahren in eine fremde Stadt. Dort besorgen Sie sich zuerst einmal eine Stadtkarte und machen dort einige wichtige Orientierungspunkte aus – einen Fernsehturm, einen Kirchturm und eine Brücke zum Beispiel. Diese Punkte sind sozusagen die O’Keefe’schen Ortszellen. Dann legen Sie sich beim Kartenstudium noch ein geistiges Koordinatensystem zurecht, so dass Sie auch Abstände, Strecken und Richtungen richtig einschätzen können. Das sind dann die Moser’schen Rasterzellen. Dank ihnen sind Abstraktionsleistungen wie das Nehmen einer Abkürzung oder aber Bewegung im dunklen Raum möglich.
Erkenntnisse gelten auch für Menschen
Was bei Ratten so gut funktionierte, ist inzwischen auch für den Menschen durch hirndarstellende Verfahren und Beobachtungen bei Gehirnoperationen belegt. Andersherum ist inzwischen aber auch bekannt, was passiert, wenn die wichtigen Systeme im Hippocampus und entorhinalen Kortex ausfallen. Das ist beispielsweise bei Menschen mit Alzheimer der Fall, wo diese für die Orientierung massgeblichen Bereiche verkümmern.