Wie nützlich eine Entdeckung ist, stellt sich oft erst viele Jahre später heraus. Umgekehrt sind manche Erfindungen im Rückblick sogar schädlich. Entsprechend knifflig ist jedes Jahr aufs Neue die Entscheidung der schwedischen Nobelpreis-Jurys für Physik, Chemie und Medizin, welche Wissenschaftler auf den Forschungsthron zu setzen sind.
Von der Entdeckung bis zum Nobelpreis
«Es gibt Beispiele, wo das mehr als 50 Jahre gedauert hat», erzählt der Vorsitzende des Nobelkomitees für Physik, Lars Brink. Wie beim russischen Forscher Vitali Ginzburg (1916 - 2009): Er bekam die Auszeichnung 2003 für «bahnbrechende Arbeiten in der Theorie über Supraleiter und Supraflüssigkeiten», die er in den 50er-Jahren geleistet hatte.
Der Inder Subrahmanyan Chandrasekhar (1910-1995) musste nach seinen Entdeckungen über weisse Zwerge ebenfalls rund ein halbes Jahrhundert auf den Physik-Nobelpreis warten. Und Raymond Davis (1914-2006) nahm den Preis für seine Errungenschaften in der Astrophysik mit 88 Jahren entgegen. Auch der erste Gewinner, Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923), musste sieben Jahre warten, nachdem er die gleichnamigen Strahlen entdeckt hatte.
«Die Wissenschaft ist ein sehr konservatives Spiel»
Dabei hatte Alfred Nobel in seinem Testament festgelegt, dass diejenige den Preis bekommen sollten, «die im abgelaufenen Jahr der Menschheit den grössten Nutzen gebracht haben». Auch dafür gibt es Beispiele: Zwei amerikanische Forscher mit chinesischen Wurzeln, Chen Ning Yang and Tsung-Dao Lee, entdeckten 1956, dass der Paritätssatz nicht bei allen physikalischen Phänomenen erfüllt ist. Dafür wurden sie gleich im Jahr darauf mit dem Nobelpreis für Physik geehrt.
Die Regel seien aber etwa 20 Jahre, sagt der Vorsitzende des Nobelkomitees für Chemie, Sven Lidin. «Die Wissenschaft ist ein sehr konservatives Spiel», erklärt er, «und es braucht Zeit, bis man die volle Bedeutung einer neuen Entdeckung verstehen kann. Es gibt eine Inkubationszeit, bevor die wissenschaftliche Gemeinschaft begreift, dass etwas bedeutend ist.»
Auch peinliche Irrtümer begangen
Deshalb heisst es meist erst einmal: Ruhig angehen lassen, um später nichts bereuen zu müssen. Schliesslich gab es in der Geschichte der Nobelpreise auch Vergaben, die heute nicht mehr nachvollziehbar sind. Zum Beispiel die an den portugiesischen Neurologen Antonio Egas Moniz im Jahr 1949, der ein Verfahren entwickelt hatte, mit dem er psychisch Kranke heilen wollte.
Der Eingriff veränderte jedoch die Persönlichkeit der Patienten bisweilen drastisch, schreibt Heinrich Zankl in seinem 2005 erschienenen Buch «Nobelpreise». Und der dänische Pathologe Grib Fibiger wurde demnach für die Entdeckung eines «krebserregenden Parasiten ausgezeichnet, die sich später als kompletter Irrtum erwies».
Vorsicht als erste Jurorenpflicht
«Mit den Jahren sind wir sehr vorsichtig geworden», sagt Komitee-Vorsitzender Brink, «man kann den Preis keiner theoretischen Entdeckung geben, die nicht belegt ist.» Das gilt auch als ein Grund dafür, dass der berühmte Astrophysiker Stephen Hawking noch keinen Nobelpreis bekommen hat.
«Er hat in der Theorie einige wichtige Entdeckungen gemacht, von denen wir alle glauben, dass sie richtig sind», sagt Brink, «aber wir müssen sicher sein, dass sie stimmen.» Hawkings Theorien wie die, das schwarze Löcher – riesige, extrem massereiche Objekte im Kosmos – unter bestimmten Umständen Energie verlieren, seien extrem schwierig zu überprüfen.
Kanadischer Forscher vor der Vergabe verstorben
Für die drei wissenschaftlichen Nobelpreise, die in diesem Jahr zwischen dem 7. und 9. Oktober vergeben werden, sind regelmässig 300 bis 400 Kandidaten nominiert. «Viele grosse Entdeckungen werden nicht prämiert. Man muss auch ein wenig Glück haben», sagt Lidin, Leiter des Komitees für den Chemie-Nobelpreis.
Ausgesprochenes Pech hatte in dieser Hinsicht der norwegische Meteorologe Vilhelm Bjerknes (1862-1951), der zwar mehr als 50 Mal für einen Nobelpreis nominiert wurde, ihn aber nie bekam, wie Zankl schreibt. Ähnlich oft sei der deutsche Physiker Friedrich Paschen (1865-1947) für den Preis vorgeschlagen worden – und immer leer ausgegangen.
Noch tragischer ist die Geschichte des kanadischen Immunforschers Ralph Steinman. Er war drei Tage, bevor die Nobel-Jury ihn 2011 als Preisträger im Bereich Medizin verkündete, gestorben. Die Juroren erfuhren erst nach der Zuerkennung von seinem Tod – und verliehen erstmals seit 50 Jahren einen Nobelpreis posthum.