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Fabiola Gianotti
Legende: Physikerin mit Leidenschaft: Fabiola Gianotti, die neue Leiterin des Cerns. Cern

Erste Chefin Fabiola Gianotti an der Spitze des Cern

Berühmt wurde die Römerin durch ihren Anteil am Nachweis des Higgs-Teilchens. Nun übernimmt Fabiola Gianotti zum 1. Januar 2016 die Leitung des Cern von Rolf Heuer. Zum ersten Mal steht eine Frau an der Spitze der europäischen Kernforschung.

Piano oder Physik? Vor dieser Wahl stand Fabiola Gianotti als Studentin. Die Römerin entschied sich für die Wissenschaft. Das Klavierspielen blieb geliebtes Hobby und die Teilchenphysik wurde zur beruflichen Passion. So virtuos wie sie Schubert auf ihrem Digitalklavier spielt, so souverän beherrscht die 54-Jährige im Europäischen Kernforschungszentrum Cern die komplexeste Maschinerie der Physik.

Anfang 2015 nehmen Forscher mit dem umfassend modernisierten Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) wieder die Jagd nach Higgs- und anderen Elementarteilchen auf. Gianotti wird sie in den nächsten Jahren als Generaldirektorin des Cern führen. Sie ist die erste Frau an der Spitze des weltgrössten Forschungszentrums auf dem Gebiet der Teilchenphysik.

«Von männlichen Wesen dominiertes Gebiet»

«Die Physik ist ein von männlichen Wesen dominiertes Gebiet», schrieb das «Time»-Magazin 2012 in einem Artikel über Gianotti – und setzte sie auf Platz fünf seiner Liste der «Personen des Jahres» – an der Spitze stand Barack Obama. «Die allgemeine Annahme ist, dass eine Frau Hürden und Vorurteile überwinden muss, mit denen Männer nicht konfrontiert sind», hiess es weiter. Am Cern, wo viele Frauen in verantwortungsvollen Positionen arbeiten, sei das allerdings anders.

Damals war Gianotti ins internationale Rampenlicht getreten. Als gewählte Sprecherin des ATLAS-Experiments am LHC und damit eines Entdeckerteams von gut 3000 Forschern und Technikern aus 38 Ländern, verkündete und erläuterte sie den bislang sensationellsten Erfolg des Cern: die Entdeckung des Higgs-Boson, eines bis dahin nur in der Theorie bekannten Puzzlestücks im Standardmodell der Materie (siehe Video).

Es ist jener von den Forschern Peter Higgs und François Englert vorhergesagte Winzling, der anderen Elementarteilchen erst die für ihre Existenz erforderliche Masse verleiht. Es wird deshalb auch immer wieder «Gottesteilchen» genannt. Nachdem ihre Theorie am Cern bewiesen werden konnte, erhielten Higgs und Englert 2013 den Physik-Nobelpreis.

Am Nachweis mit Hilfe des LHC, des grössten Teilchenbeschleunigers der Welt, war Gianotti an der Spitze des ATLAS-Detektorteams massgeblich beteiligt. Dass die Physikerin Mitte Dezember einstimmig vom Cern-Verwaltungsrat zur Generaldirektorin gewählt wurde, lag an ihrer wissenschaftlichen Leistung und erwiesenen Fähigkeit, ein internationales Team zu führen.

«Eine exzellente Wahl»

Fabiola Gianotti und Rolf Heuer
Legende: Doppelspitze: Fabiola Gianotti ersetzt Rolf Heuer, nachdem sie das Cern 2015 noch gemeinsam leiten. Cern

«Fabiola Gianotti ist eine exzellente Wahl», lobte der derzeitige Cern-Generaldirektor Rolf Heuer. «Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit ihr im Übergangsjahr 2015.» Mit dem 66-jährigen Heuer wird Gianotti die Forschungseinrichtung zwölf Monate als Doppelspitze führen, ehe sie 2016 für fünf Jahre allein die Leitung übernimmt.

Der Deutsche und die Italienerin haben nicht nur als Forscher vieles gemeinsam. Ähnlich schwärmerisch wie Heuer in den Jahren seiner Amtszeit seit 2009 spricht Gianotti über das Cern: «Es ist eine Wiege der Innovation, eine Fontäne des Wissens und der Bildung und ein grossartiges Beispiel für weltweite wissenschaftliche Kooperation.»

«Neue Teilchen treffen ist fast wie neue Freunde finden»

Den meisten Menschen – selbst so manchem Physiker – erscheint die Teilchenphysik als recht abstrakt. Auch wenn mit einigen «Nebenwirkungen» des Cern wie der Erfindung des Internets fast jeder etwas anfangen kann.

Was Gianotti an ihrem Job fasziniert, beschrieb die in Mailand promovierte und mit etlichen internationalen Auszeichnungen geehrte Physikerin der «Financial Times» einmal so: «Auf neue Teilchen zu treffen ist fast, als gewinne man neue Freunde. Man muss sie unbedingt besser kennlernen und das verändert dein eigenes Leben.»

Mit neuen Freunden in der Teilchenwelt kann sie in ihrer Amtszeit an der Cern-Spitze wohl ziemlich fest rechnen. Grosse Hoffnungen werden in den runderneuerten und modernisierten LHC gesetzt. Wenn er im März auf volle Touren geht, wird der 27 Kilometer lange unterirdische Ringbeschleuniger Elementarteilchen mit 14 TeV (Teraelektronenenvolt) aufeinander losjagen. Das ist doppelt so schnell wie je zuvor. Entsprechend umfangreicher werden die Zerfallsprodukte dieser gezielten Kollisionen sein.

Die Chance, auf «Brüder oder Schwestern» des Higgs-Teilchens zu stossen und deren Eigenschaften erkennen zu können, wird damit erheblich wachsen. Und mit jeder neuen Erkenntnis wächst die Chance, dass die Wissenschaft eines Tages Menschheitsfragen wie diese beantworten kann: Warum gibt es uns und unsere Welt? Wie ist das Universum entstanden? Und was kommt danach?

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