In Schweden erschüttert ein Forschungsskandal das renommierte Karolinska-Institut, das alljährlich den Nobelpreis für Medizin vergibt. Der Chirurg Paolo Macchiarini hatte dort zwischen 2011 und 2012 mehreren Patienten eine künstliche Luftröhre eingesetzt und später auch Menschen in Russland operiert. Mindestens sechs der acht Patienten starben, mindestens eine der beiden Überlebenden muss weiterhin intensivmedizinisch betreut werden.
Eine Fernseh-Dokumentation des Schwedischen Fernsehens hat den Fall im Januar öffentlich gemacht und aufgezeigt, dass auch die Leitung des Karolinska-Instituts tief in den Fall verwickelt ist. In der vergangenen Woche ist bereits der Generalsekretär der Nobelversammlung zurückgetreten.
Aus lebensrettend wurde lebensbedrohlich
Das Karolinska-Institut hatte den in Basel geborenen Chirurgen Paolo Macchiarini 2010 rekrutiert. In den darauffolgenden Jahren hat er dort drei Patienten mit Luftröhrenkrebs neue Luftröhren aus Kunststoff eingesetzt, die zuvor mit körpereigenen Stammzellen behandelt worden waren – sein Spezialgebiet. Nach der Transplantation würden diese Zellen neues Luftröhren-Gewebe bilden, erklärte Macchiarini seinen Patienten. So solle ein schmerzfreies Leben nach der Operation möglich sein.
Die Operation war die einzige Möglichkeit, das Leben der Patienten zu retten, hiess es am Karolinska-Institut. International wurde die Transplantation als bahnbrechender medizinischer Erfolg gefeiert – doch nur eine der am Karolinska-Institut behandelten Personen überlebte. Sie muss noch immer intensivmedizinisch versorgt werden.
Später – so der Vorwurf – hat Macchiarini auch Patienten in Russland behandelt, die nicht lebensbedrohlich krank waren. Auch hier starben Menschen an den Folgen des Eingriffs.
Nur ein Fehler oder Forschungsbetrug?
Anfang 2014 zeigte ein vierköpfiges Ärzteteam am Karolinska-Institut Macchiarini offiziell wegen Forschungsbetrugs bei der Institutsleitung an. Er habe die Ergebnisse seiner ersten Transplantationen im Fachmagazin «The Lancet» und in weiteren Publikationen geschönt. Später bestätigte ein externer Gutachter, dass der Chirurg den Erfolg seiner Operationsmethode in wissenschaftlichen Artikeln falsch dargestellt hatte.
Eine interne Untersuchung des Karolinska-Instituts kam im August 2015 jedoch zu einem anderen Ergebnis: Macchiarini habe zwar gewisse Fehler gemacht, doch es handele sich nicht um Forschungsbetrug. Sein Vertrag wurde daraufhin verlängert. Erst als das schwedische Fernsehen den Fall aufgriff, setzte die Institutsleitung eine Untersuchungskommission ein.
Die Ermittlungen laufen
Nun wird gegen Paolo Macchiarini wegen Forschungsbetrugs und fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt, es gilt die Unschuldsvermutung. Auch in Italien, wo der Chirurg vor seiner Berufung an das Karolinska-Institut tätig war, wird gegen ihn ermittelt. Die Leitung des renommierten Karolinska-Instituts muss sich verantworten, da sie die Warnungen nicht ernst genommen und geduldet hatte, dass Macchiarini in Russland Menschen operierte, die noch ein langes Leben vor sich gehabt hätten.
Der Rektor des Karolinska-Instituts, Anders Hamsten, reagierte nach der Ausstrahlung der TV-Doku entsetzt über die Enthüllungen und behauptet, nichts davon gewusst zu haben, unter welchen Umständen die Operationen in Russland erfolgt sind. In dem Bericht wird unter anderem gezeigt, wie eine junge Patienten falsch über die Risiken der Operation aufgeklärt wurde. Sie starb später an den Folgen des Eingriffs. Inzwischen hat Rektor Anders Hamsten aufgrund der Ereignisse seinen Rücktritt bekannt gegeben.
Namhafte schwedische Forscher, darunter auch der Medizinnobelpreisträger Arvid Carlsson, forderten öffentlich den Rücktritt der Leitung des Karolinska-Instituts. Er bezeichnete die Affäre als grössten Forschungsskandal in der Geschichte des Medizinnobelpreises.