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Chemienobelpreisträger 2025 Omar Yaghi macht Wüstenluft zu Wasser

Es ist ein filmreifer Plot: Ein Flüchtlingskind kommt aus Jordanien in die USA und erhält 45 Jahre später den Nobelpreis.

Omar Yaghi ist ganz oben angekommen. Am 10. Dezember wird er den Nobelpreis entgegennehmen. Die Übergabe im plüschigen Konzerthaus von Stockholm ist die Klimax seines Lebensfilms, der in der staubtrockenen Hauptstadt Jordaniens beginnt.

Das Kind und die Moleküle

10 Jahre alt ist Omar, als er sich in die normalerweise geschlossene Schulbibliothek schleicht. Er greift sich ein beliebiges Buch und sieht zum ersten Mal die für ihn rätselhaft anziehenden Bilder von Molekülen. Und er verliebt sich in die wunderschönen Formen. Das sei ein tiefer Einschnitt in seinem Leben gewesen, sagt Omar Yaghi.

Er ist damals eines von vielen Kindern einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie. Der Raum ist knapp, das Wasser auch. Er sei ein sehr ruhiges Kind gewesen: das Kind in der Ecke. Dasjenige, das Bücher liest und lernt.

Coming of Age in den USA

Omar Yaghi ist fünfzehn, als sein Vater, der selber kaum lesen und schreiben kann, beschliesst: Omar geht in die USA. Der Teenager will nicht. Aber die Eltern, 1948 aus dem Gazastreifen geflohen, sind entschlossen: Omar muss in die Welt hinaus, um sich und die Familie dank Bildung aus den prekären Lebensbedingungen herauszuholen.

Ein Mann mit Brille in einem Hemd, mit braunem Jackett, verschränkt die Arme und blickt geradeaus.
Legende: Ausgezeichnet für die Entdeckung neuer Materialien, sogenannten MOFs, um die grossen Probleme der Menschheit anzugehen: Wasserknappheit und die Klimakrise. Keystone/Brittany Hosea-Small

Omar fliegt in die USA, lernt, packt Einkaufstüten, putzt. Er lebt jetzt allein, aber immer noch prekär und wiederum auch nicht. Die öffentlichen Schulen seien sein Reichtum gewesen – perfekt für Menschen aus benachteiligen Verhältnissen und Fluchtgeschichten wie seiner.

Ein Mensch folgt seiner Leidenschaft

Omar Yaghi macht seinen High School-Abschluss, studiert Chemie, promoviert und erhält im dritten Anlauf seine ersten Forschungsgelder: ein Grant der National Science Foundation NSF der USA. Jetzt kann er seinen eigenen Weg gehen: «Die Grants erlaubten mir zu tun, was ich wollte. Und das war etwas ganz anderes.» Abseits der Mainstream-Chemie designt Yaghi neue Materialien.

Omar Yaghis Chemie – die MOFs

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Omar Yaghis Wurf hat drei Buchstaben: MOF. MOFs sind metallorganische Verbindungen, zusammengesetzt aus Metallionen und organischen Molekülen. Dazwischen Hohlräume.

MOFs sind eine Art chemische Schwämme. Sie können – je nach Zusammensetzung – gezielt ganz bestimmte Substanzen aufsaugen. Zum Beispiel die Klimagase CO₂ und Methan aus der Luft, oder die Ewigkeitschemikalien PFAS aus dem Wasser.

Und was dem sehr strukturierten Omar Yaghi an den MOFs besonders gefällt: Die Chemie entsteht im Kopf. Was man denken kann, kann man auch bauen. Oder in seinen Worten: «If you can think it, you can make it.» Nicht zufällig werden Omar Yaghi und die beiden anderen Chemienobelpreisträger dieses Jahres, Richard Robson und Susumu Kitagawa, als Schöpfer einer neuen molekularen Architektur bezeichnet.

Omar Yaghi tut, was er schon als Kind tat. Er dreht sein Ding. Er ist streng und überaus fordernd. Das sagen frühere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Und er ist eine Zumutung für seine Vorgesetzten. Das sagt er selber.

Das Kind im Mann

Omar Yaghi sieht sie durchaus: die Linie, die vom nerdigen Kind zum erfolgreichen Wissenschaftler führt. Die Verbindung zwischen dem Drittklässler Omar, der seinen Eltern erklärt, er wolle seine Ruhe – und dem Verhalten des erfolgreichen Wissenschaftlers. An der Pressekonferenz kurz nach der Nobelpreisverkündigung wendet er sich an seine Vorgesetzten: «Ich war ein sehr unabhängiges Kind und vielleicht kann mein Rektor mein Verhalten besser verstehen.»

Eigensinnig und trotzdem gut vernetzt

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Omar Yaghi hat ein ausgeprägtes Autonomiebedürfnis. Trotzdem ist er gut vernetzt in aller Welt. In der Schweiz hat er letztes Jahr den hochdotierten Balzan-Preis erhalten. Er ist verbunden mit der ETH, der EPFL und dem PSI, wo er das Start-up NovoMOF berät.

Seit zwölf Jahren arbeitet Omar Yaghi an der University of California in Berkeley. Nirgendwo anders möchte er sein als an dieser renommierten Hochschule. Hier kann er sein, wie er ist – und tun, was er will. Hier sei er im Nirwana der Wissenschaft angekommen.

Back to the Roots

Heute sind Omar Yaghis MOFs auf dem Sprung in die Praxis. Die MOFs gehen in Serie. BASF stellt sie bereits industriell her. Sie werden in Zementfirmen eingesetzt, um CO₂ direkt vor Ort einzufangen. Und Atoco, eines seiner eigenen Start-ups, führt ihn dahin zurück, wo er herkommt. Es soll bald schon Wasser aus der Luft entziehen – auch aus staubtrockener Wüstenluft.

Das Kind, das jeweils früh am Morgen das Wasser aus der Nachbarschaft holte – wenn das Wasser denn alle zwei Wochen mal floss – macht heute selber Wasser. Was für ein Bild.

Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 11.10.2025, 12:40 Uhr

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