Das Fass zum Überlaufen gebracht hat das Dekret mit dem verheissungsvollen Titel «Restoring the Gold Standard of Science» – also den Goldstandard der Wissenschaft wiederherstellen. Trump erliess diese Executive Order am 23. Mai, am Vorabend eines langen Feiertagswochenendes. Kaum beachtet von der breiten Öffentlichkeit, blieb sie jedoch nicht unentdeckt von den aufmerksamen Mitgliedern der Organisation «Stand up for Science».
«Sie wussten, dass wir das Dekret kritisieren würden. Sie versuchten, es vor den Medien zu verstecken. Aber das liessen wir nicht zu», sagt die Psychologie-Doktorandin Collette Dellawalla, die «Stand up for Science» ins Leben gerufen hat.
Im neuen «Goldstandard» sehen Dellawalla und ihre Mitstreiterinnen eine Eskalation des anhaltenden Angriffs auf die Wissenschaft: das drohende Ende der Wissenschaftsfreiheit.
Zunächst klingt das Dekret harmlos: Mehr Transparenz bei staatlich geförderter Wissenschaft, klare Standards, um Interessenkonflikte vorzubeugen. Dagegen hätte sie nichts einzuwenden, das geschehe ohnehin bereits, sagt Dellawalla. Aber: «Gleichzeitig werden die Normen derart hochgeschraubt, dass keine Studie sie je vollständig erfüllen kann.» Darüber entscheiden sollen nicht mehr unabhängige wissenschaftliche Gremien, sondern politische Behördenmitglieder – direkt von Trump ernannt. Diese hätten die Macht, Forschende zu bestrafen, wenn ihre Arbeit die Kriterien nicht erfüllt.
Nobelpreisträger spricht von Machtmissbrauch
Auch der Nobelpreisträger Victor Ambros engagiert sich seit Beginn bei «Stand up for Science». Für den Professor der University of Massachusetts Medical School ist das Dekret ein Missbrauch wissenschaftlicher Prinzipien, um eine politische Agenda durchzusetzen. «Damit soll offensichtlich erreicht werden, dass bei den staatlichen Forschungsinstitutionen wie der NASA oder den National Institutes of Health Funktionäre das Sagen haben. Sie müssen Entscheidungen im Sinn der Regierung treffen, sonst verlieren sie ihren Job.»
Wenn du jung bist, eine Familie hast und deinen Studienkredit zurückzahlen musst, bist du auf deinen Job angewiesen. Deshalb ist stillzuhalten völlig verständlich.
«Stand up for Science» hat das Dekret in einem offenen Brief scharf kritisiert. Victor Ambros hat ihn – nach Collette Dellawalla – als Zweiter unterzeichnet, und mit ihm über 10’000 Forschende. Seit den «No King»-Protesten habe der Widerstand deutlich zugenommen, so Dellawalla. «Die Leute merken: Das ist schlimm – aber wir können etwas tun. Da bewegt sich gerade etwas.»
Junge Forschende fürchten um ihre Karriere
In der Wissenschaft hätten aber viele auch Angst, sagt Victor Ambros, vor allem die Jungen: «Wenn du jung bist, eine Familie hast und deinen Studienkredit zurückzahlen musst, bist du auf deinen Job angewiesen. Deshalb ist stillzuhalten völlig verständlich.» Auch andere Akteure – Biotech-Unternehmen, Patientenorganisationen, medizinische Fachgesellschaften, Big Pharma – haben sich bisher kaum öffentlich positioniert.
Umso proaktiver agiert «Stand up for Science». Das strategische Prinzip: Tempo. «Trump und seine Regierung verfahren nach dem System ‹flood the zone› – die Zone fluten, mit fast täglichen Erlassen und Entscheidungen, die die Leute überfordern sollen. Also machen wir es auch so: Wir greifen an, wir fluten unsere eigene Zone», sagt Dellawalla.