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Klimaerwärmung Abgase als Klimakühler

Wolken sind eine der grössten Unsicherheiten bei Klimaprognosen. Sie bilden sich durch kleinste Partikel, Aerosole genannt. Im Cern bei Genf untersuchen Forscher, welche Rolle sie spielen – in der Hoffnung auf nützliche Einsichten und genauere Modelle für die globale Erwärmung.

Aerosole

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Legende: Paul Scherrer Institut

Aerosole sind feste oder flüssige Teilchen in der Luft. Sie entstehen aus vielerlei Substanzen wie Wüstenstaub, Meersalz oder Pollen – oder durch menschliche Einflüsse wie Auto- und Industrieabgase. Mit blossem Auge sind sie nur nur bei hohen Konzentration ab etwa 10‘000 Partikel pro Kubikzentimeter sichtbar, zum Beispiel bei Smog.

Aerosole sind gewissermassen Gegenspieler der Treibhausgase: Diese Kleinstpartikel (siehe Box rechts) können das Klima kühlen. Einerseits direkt, indem sie Sonnenlicht reflektieren und so teilweise von der Erde fernhalten. Andererseits indirekt, indem sie für mehr Wolken sorgen: Sie dienen als Kondensationskeime für die winzigen Wolkentröpfchen.

Bei genügend Luftfeuchtigkeit bedeuten mehr Aerosole also – mehr Wolken. Und weil mit steigender Partikelzahl auch kleinere und mehr Wassertröpfchen entstehen, werden die Wolken dichter. «Eine solch dichte Wolke streut viel mehr Sonnenlicht zurück ins Weltall», sagt Aerosolforscher Urs Baltensperger vom Paul Scherrer Institut in Villigen, «und bremst damit die Klimaerwärmung.»

Grosse Wirkung, offene Fragen

Nur: Wann und wo diese Partikel Nebel und Wolken bilden, kann der Aerosolforscher noch nicht exakt voraussagen: «Es ist tatsächlich sehr schwierig, eine Prognose zu machen», sagt Baltensperger, «man hat auf der einen Seite nicht genug Messmöglichkeiten und muss auch berücksichtigen, dass eine Wolke etwas sehr Heterogenes ist. Sie ändert sich sehr rasch.» Und: Die Wissenslücken bei den von Menschen gemachten Aerosol-Effekten – ob direkt oder indirekt – sind noch recht gross.

Dabei sind Aerosole und Wolken entscheidend für exakte Klimamodelle. Um die globale Erwärmung zu berechnen, muss man möglichst genau wissen, wie und wo sich in der Zukunft viele Aerosole und damit Wolken bilden. Die heutigen Klimamodelle haben eine Fehlertoleranz von bis zu einem halben Grad, bezogen auf die vorhergesagte Erwärmung der Durchschnittstemperatur – zu viel.

Gezielte Versuche in der Wolkenkammer

Mehr Wissen über Aerosole soll eine Versuchsanlage im Cern nahe Genf liefern. Dort testen 20 Forscherteams aus neun Ländern in einer sogenannten «Cloud-Chamber», wie sich Aerosole bilden.

Eine grosse zylindrische Versuchsanlage im Cern nahe Genf.
Legende: Die Cloud-Chamber im Cern. SRF

«In dieser Kammer haben wir die Natur unter Kontrolle», erklärt Urs Baltensperger. In die Cloud-Chamber können die Forscher bei unterschiedlichen Temperaturen gezielt einzelne Stoffe zugeben und kombinieren – und so herausfinden, aus welchen Stoffen wie viele Aerosole entstehen.

Abgase als Klimakühler

Eines hat sich schon gezeigt: Der Mensch beeinflusst die Wolkenbildung durchaus. Aus Heizungen und Verbrennungsmotoren entstehen unter bestimmten Umständen zusätzliche Aerosole. Doch auch Stoffe aus der Natur haben wesentlichen Einfluss: zum Beispiel Monoterpene, Hauptbestandteile von ätherischen Ölen, die von Pflanzen produziert werden – etwa von Nadelhölzern, die sich damit vor Insekten schützen.

Diese Monoterpene, die man im Wald riecht, verbinden sich laut den Resultaten der Forscher in der Luft mit Schwefelsäure, die wiederum aus Abgasen entstanden ist. So bilden sich Aerosole – mit den bekannten Folgen. «Das sind dann meist dichtere Wolken, die mehr Sonnenlicht ins Weltall reflektieren. Die Erdoberfläche erwärmt sich so weniger», sagt Baltensperger.

Video
So entstehen Aerosole: Urs Baltensperger erklärt («Einstein»)
Aus Einstein vom 10.11.2015.
abspielen. Laufzeit 31 Sekunden.

Mehr Wald bremst also zusammen mit Abgasen die Klimaerwärmung. Also müsste man möglichst viel Wald pflanzen, fleissig Abgase erzeugen und am besten gleich direkt Aerosole in die Atmosphäre bringen?

Der Wissenschaftler winkt ab: «Man muss wissen, dass man dies jede Woche machen müsste», sagt er, «zudem sind diese Stoffe giftig. Und überspitzt formuliert: Man kann doch nicht Menschen töten, um das Klima zu retten.»

Trotzdem tragen die bisherigen Erkenntnisse über Aerosole zu einem besseren Verständnis bei und fliessen zum Teil schon in Klimaprognosen ein. Doch noch sind viele Zusammenhänge ungeklärt; viele Stoffe sollen in der Cloud-Chamber noch getestet werden. Bis Klimamodelle auch die Wolkenbildung möglichst exakt berücksichtigen, dürfte noch viel Zeit vergehen.

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