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Schub für den Klimaschutz Klimaseniorinnen klagen – das Urteil könnte Signalwirkung haben

Die Zürcher Völkerrechtlerin Helen Keller glaubt, dass die Klage der Schweizer Klimaseniorinnen gute Aussichten auf Erfolg hat. Das Urteil könnte dem Klimaschutz in Europa einen Schub geben.

Am 9. April wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Urteil zur Klimaklage von über 2'000 Schweizer Seniorinnen sprechen. Der zentrale Vorwurf: die Schweiz betreibe eine ungenügende Klimapolitik und verletze damit ihre Menschenrechte. Die Zürcher Völkerrechtlerin und ehemalige EGMR-Richterin Helen Keller glaubt, dass die Klimaseniorinnen gute Aussichten auf Erfolg haben. Das Urteil könnte dem Klimaschutz in Europa Auftrieb verleihen.  

Helen Keller

Professorin für Öffentliches Recht

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Helen Keller (59) ist Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Zürich. Sie leitet ein Forschungsprojekt zum Thema « Climate Rights and Remides » – welchen Zusammenhang haben Menschenrechte und Klimaklagen? Keller war von 2011 bis 2020 Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.

SRF Wissen: Mehr als 2'000 Seniorinnen verklagen die Schweiz beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Wie ist Ihre Prognose? 

Helen Keller: Ich denke, sie haben gar nicht so schlechte Chancen. Ich könnte mir vorstellen, dass ihnen der Gerichtshof in Teilbereichen recht gibt.

Die Klage der Schweizer Klimaseniorinnen

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Über 2'000 Seniorinnen klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte den Bund an. Der zentrale Punkt: die Schweiz betreibe eine ungenügende Klimapolitik und verletze damit ihre Menschenrechte.

Weil ältere Frauen als Folge häufigerer und intensiverer Hitzeperioden vermehrt krank würden oder stärben, betreffe sie die Klimapolitik der Schweiz direkt.

Mit der Klage der Klimaseniorinnen wird vor dem EGMR erstmals die Frage beantwortet, ob die Klimapolitik eines Staates Menschenrechte verletzt. Das Urteil wird am 9. April erwartet.

Die Klimaseniorinnen argumentieren, dass die Schweiz bislang für den Klimaschutz nicht genug tut. Sind Gerichte nicht überfordert, wenn sie das beurteilen müssen?

Ich würde auf die Argumentation des deutschen Bundesverfassungsgerichts zurückgreifen. Es hat gesagt, die Richterinnen, die auf zwölf Jahre gewählt sind, sind unabhängiger und deshalb besser in der Lage, Güter wie das Klima zu schützen.

Sie können das besser als Politiker, die alle vier Jahre wiedergewählt werden müssen und die Angst davor haben, unliebsame Entscheide zu treffen.

Der Bund bemüht auch dieses «Drop in the Ocean»-Argument. Sprich, wir als Schweiz sind doch viel zu klein. Unser Anteil an den CO₂-Emissionen ist viel zu gering, als dass man uns da verantwortlich machen könnte. Ist das überzeugend?

Das ist ein gefährliches Argument. Im berühmten Urteil zur Klage der Umwelt-Stiftung Urgenda in den Niederlanden hat der Oberste Gerichtshof das total zurückgewiesen.

Wenn die Klimaseniorinnen jetzt auch nur in einem Teilaspekt Recht kriegen, ist das schon ein Riesenerfolg.

Jeder Staat müsse das tun, was möglich ist, um die eigene Bevölkerung zu schützen. Der Staat könne sich gerade nicht aus der Verantwortung stehlen mit «ach, das ist ja nur ein Tropfen auf den heissen Stein.»

In den Niederlanden wurde daraufhin Tempo 100 eingeführt, Kohleausstieg bis 2030. Rechnen sie auch mit solchen konkreten Konsequenzen in der Schweiz?

Das muss nicht so kommen. Aber wenn die Klimaseniorinnen jetzt auch nur in einem Teilaspekt Recht kriegen, ist das schon ein Riesenerfolg. Sie müssen sich vorstellen, sie sind vor den nationalen Instanzen einfach nur belächelt worden. Wenn der Menschengerichtshof das Urteil nicht einfach abschmettert, könnte das Urteil Signalwirkung haben und um die Welt gehen.

Das heisst, solche Urteile sind vielleicht dieser Impuls, den die Gesellschaften weltweit jetzt auch brauchen, um die grosse Transformation zu mehr Nachhaltigkeit zu starten?

Zu viel der Hoffnung! Beim Klimaschutz wird es nicht den einen, alles entscheidenden Impuls geben, sondern wir brauchen ganz viele verschiedene Impulse. Wir müssen etwas unternehmen. So können wir nicht weitermachen.

Das Gespräch führten Ingolf Baur und Sabine Olff.

Nano ; 

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