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ETH-Studie zu Wetterextremen Wir müssen uns an klimatische Extremst-Ereignisse gewöhnen

Schweizer Wissenschaftler zeigen: Klimatische Extremst-Ereignisse werden deutlich häufiger auftreten als bisher gedacht.

Klimatisch erleben wir eine Saison der Rekorde. Kanada und der Nordwesten der USA haben eine Rekordhitzewelle durchlebt, Deutschland, die Schweiz und andere Nachbarn gewaltige Regenfälle und Überschwemmungen.

Nun zeigt eine Studie von Schweizer Forschenden: Rekord-Extreme werden wegen der rasch zunehmenden Klimaerwärmung deutlich häufiger werden als gedacht.

Das Klima bricht Rekorde um Längen

Beim Klima ist es punkto Rekorde wie beim Sport, sagt der Klimaphysiker Erich Fischer von der ETH Zürich: Je länger eine Disziplin praktiziert werde, desto schwieriger werde es, einen bestehenden Rekord zu brechen: «Weltrekorde im Weit- oder Hochsprung sind zum Teil Jahrzehnte alt – und wenn sie gebrochen werden, dann nur um wenige Zentimeter.»

Beim Klima sei es normalerweise auch so: Weil die Wissenschaft Temperatur und Niederschläge seit vielen Jahrzehnten messe, seien neue Rekorde immer weniger zu erwarten. Man kenne durch die Messungen das Klima – eigentlich: «Denn was wir zurzeit beobachten ist genau das Gegenteil: Plötzlich werden lang bestehende Rekorde mit grossem Abstand gebrochen», so Fischer.

«Mit dem Schlimmsten rechnen» reicht nicht mehr

Wie vor kurzem bei der Hitzewelle in Kanada: Die Spitzentemperaturen lagen fünf Grad über dem bisherigen Spitzenwert, der Rekord wurde geradezu pulverisiert. Selbst die Fachwelt war erstaunt, und es gab viele Tote, weil für die Menschen in Kanada eine derartige Hitze vollkommen neu war.

Dies mache solche extremen Rekordereignisse besonders gefährlich, sagt Erich Fischer: «Es gibt eine Tendenz trotz aller wissenschaftlicher Information, dass die Leute sich auf die stärksten Ereignisse vorbereiten, die sie oder ihre Vorfahren erlebt haben. Und dann sind sie überrascht, wenn diese bei weitem übertroffen werden.»

Was bringt die Zukunft?

Darum hat das ETH-Forscherteam in Computersimulationen untersucht, was mit der fortschreitenden Klimaerwärmung zu erwarten ist.

Die Resultate sind erschreckend: Extreme Hitzewellen, die bestehende Rekordwerte um 6 oder 7 Grad übertreffen, sind bereits heute zwei bis sieben Mal wahrscheinlicher als in den letzten 30 Jahren. Nimmt die Klimaerwärmung weiter zu, steigt das Risiko ab 2050 noch weiter an. Dies gilt in abgeschwächter Form auch für Starkregen, dort sind die Ausschläge etwas kleiner.

Bild von einem Wald, der in Flammen steht
Legende: Begünstigt durch die grosse Hitze kam es im Westen Kanadas Ende Juni immer wieder zu Waldbränden. Rund 150 Kilometer nördlich von Vancouver war die Temperatur auf 49.6 Grad gestiegen – die höchste in Kanada je gemessene Temperatur. Reuters

Superrekorde können verhindert werden

Wie zuverlässig sind solche Computersimulationen? Friederike Otto von der University of Oxford war an der Studie nicht beteiligt. Sie ist Expertin für Extrem-Ereignisse und Computersimulationen, also Modellrechnungen. «Was sie hier gemacht haben, ist sehr solide Wissenschaft», sagt sie. «Da wurde gründlich geschaut, ob sich das Modell von unserem physikalischen Standpunkt her so verhält, wie wir es verstehen. Das heisst, die Modelle wurden so gut getestet, wie man das eben machen kann.»

Dass die Ergebnisse der Modellrechnungen zuträfen, zeige die jüngste Rekordhitzewelle in Kanada. Sie sei genau so ein Ereignis, wie sie die Studie vorhersage, so Otto.

Die Modellrechnungen zeigen noch etwas Erstaunliches: Solche Extremst-Ereignisse treten vor allem auf, wenn die Erderwärmung schnell voranschreitet – wie es aktuell geschieht. Wenn aber die Erwärmung ein Plateau erreicht hat, auch wenn es wärmer ist als heute, wird es zwar weiter Hitzewellen geben – und wegen der höheren globalen Durchschnittstemperatur auch deutlich häufiger als heute. Aber die völlig überraschenden Superrekorde sind dann wieder seltener.

Ein heisseres, aber ruhigeres Gleichgewicht

Friederike Otto erklärt das scheinbare Paradox so: «Je schneller man das Klimasystem verändert, desto weniger hat das, was wir beobachten, mit dem, was man erwarten muss, etwas zu tun. Deshalb erhält man solche Überraschungen oder eben so starke Rekorde.»

Wenn sich die Temperatur der Erde auf einem neuen, höheren Niveau stabilisiert, erreicht das Klimasystem ein zwar heisseres, aber ruhigeres Gleichgewicht.

Mit weniger CO2-Emissionen gegen Hitzewellen

«Es zeigt einmal mehr, dass entscheidend ist, wie sich die Emission der Treibhausgase in Zukunft entwickelt», resümiert Erich Fischer von der ETH. Sprich: Wenn die Menschheit das Steuer nun herumreisst und die CO2-Emissionen doch noch schnell und drastisch senkt, würde das Risiko für solche Monsterhitzewellen deutlich abnehmen.

Trotzdem müssen wir uns besser auf extreme Hitzeperioden vorbereiten – gerade in Europa. Denn ein neuer Bericht der Uno hat gezeigt: bereits in den letzten 50 Jahren waren Hitzewellen in Europa die tödlichsten Wetterextreme: Sie forderten rund 150'000 Todesopfer.

Radio SRF, Echo der Zeit, 26.7.2021, 18 Uhr

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