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Extreme Klimaereignisse Klimawandel: Jüngste einer Gesellschaft trifft es am stärksten

Extreme wie Hitzewellen, Dürren und Waldbrände nehmen zu. Richtig fassbar ist das für viele Menschen aber nicht. Darum haben Forschende berechnet, was diese Zunahme für verschiedene Generationen genau bedeutet. Das Ergebnis ist eine enorme Kluft zwischen Jung und Alt.

Seit Jahren beschäftigt sich Sonia Seneviratne von der ETH Zürich mit extremen Klimaereignissen: zu heiss, zu trocken, zu nass. Und jüngst auch mit der Frage: Wie stark sind Erwachsene betroffen? Und wie stark Jugendliche, Kinder, ihre eigenen Kinder?

Ein Leben unter extremer Hitze

Die Antwort darauf von ihr und anderen Klimaforschenden hat sie selbst überrascht. Ihr Fazit: «Etwa 50 Prozent der heute Fünfjährigen wird in ihrem Leben eine Anzahl an Hitzewellen erleben, die frühere Generationen nicht erlebt haben».

Und das im «besten» Fall, also wenn sich die Erde bis Ende des 21. Jahrhunderts nicht mehr als 1.5 Grad erwärmt. Anders sieht es aus in einer 3.5 Grad wärmeren Welt. Dann steigt die berechnete Zahl auf rund 90 Prozent. Fast alle heute Fünfjährigen weltweit erleben dann so viele Hitzewellen, wie sie ohne Klimawandel niemals stattgefunden hätten.

Ein Kind kippt Wasser über den Kopf, im Hintergrund die pralle Sonne.
Legende: Grössere Anzahl an Hitzewellen: Jüngere Generationen werden ungleich stärker von Klimarisiken betroffen sein als die Boomer von heute. KEYSTONE/EPA/FREDERIC SIERAKOWSKI

Zum Vergleich: Bei den 1960 Geborenen – sie sind heute 65 Jahre alt und gehören zur Generation der Babyboomer – sind es in allen Szenarien nur gerade 16 Prozent, die nie dagewesene Hitzewellen erleben.

Mehr zu den Berechnungen

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Die Forschenden wollten herausfinden, wie viele Menschen ein «beispielloses Leben» in Bezug auf extreme Hitze erfahren werden. Dafür berechneten sie zuerst die Anzahl an Hitzewellen, die man ohne Klimawandel nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10’000 erleben würde – eine Anzahl also, die sehr unwahrscheinlich ist. Diese Zahl oder Grenze ist für jedes Land anders: In Brüssel zum Beispiel liegt sie bei sechs extremen Hitzewellen.

Anhand von demografischen Daten berechneten die Forschenden dann für verschiedene Generationen, den Anteil jeder Generation, der diese Grenze im Laufe seines Lebens erreichen würde. Und wie sich dies bei verschiedenen Szenarien der globalen Erwärmung (1.5 Grad, 2.5 Grad oder 3.5 Grad) ändern würde. In der Schweiz etwa erleben im Schnitt zehn Prozent der 1960 Geborenen eine Anzahl an Hitzewellen über der Grenze. Bei den 2020 Geborenen sind es 40 Prozent bei 1.5 Grad Erwärmung. Bei 3.5 Grad hingegen sind es 100 Prozent, also alle heute Fünfjährigen.

Die aktuelle Studie baut auf einer früheren Arbeit der gleichen Arbeitsgruppe auf, die 2021 im Fachmagazin Science erschienen ist.

Eine riesige Kluft also, die zeigt: Jüngere Generationen sind deutlich mehr von den Folgen des Klimawandels betroffen. Diese Kluft gibt es aber nicht nur zwischen Generationen, sondern auch zwischen Ländern. «Personen in den Tropen sind besonders stark betroffen», sagt Sonia Seneviratne.

Man muss sich auf etwas gefasst machen, das wir als Gesellschaft gar nicht kennen.
Autor: Sonia Seneviratne Klimaforscherin

Dies, weil dort Temperaturschwankungen von Jahr zu Jahr typischerweise klein sind und Veränderungen darum einen grösseren Effekt haben. Anders in der Schweiz: Hier herrscht ein kontinentales Klima vor, das heisst die Temperaturen schwanken übers Jahr deutlich. Trotzdem zeigt die Studie, dass die Zunahme an Hitzewellen auch in der Schweiz sehr hoch ist.

Nicht nur extreme Hitze

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Insgesamt haben sich die Forschenden sechs verschiedene Extremereignisse angeschaut: neben Hitzewellen auch Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände, Ernteausfälle und tropische Wirbelstürme.

Die Unsicherheiten sind zwar grösser als bei Hitzewellen, weil es weniger Daten gibt und die Ereignisse schwieriger zu modellieren sind. Das Bild jedoch bleibt dasselbe: Der Klimawandel trifft jüngerer Generationen stärker.

So erleben Menschen, die 1960 in Zürich geboren wurden und ihr Leben hier verbringen, voraussichtlich drei Hitzewellen. Bei den 2020 Geborenen sind es über ihr ganzes Leben im besten Fall elf Hitzewellen, im pessimistischsten Szenario sogar 42.

Die Welt wird eine andere sein

Die nackten Zahlen sollen Eltern und Grosseltern helfen, zu verstehen, was der Klimawandel für ihre Kinder und Enkelkinder bedeutet. Und: «Man muss sich auf etwas gefasst machen, das wir als Gesellschaft gar nicht kennen», sagt die Klimaforscherin.

Also nicht nur ein bisschen grösseres Risiko für Extreme, sondern eine andere Welt. In der Schweiz heisst «eine andere Welt» nicht nur mehr Hitzewellen, sondern auch mehr Trockenheit, mehr Starkniederschläge und mehr Überschwemmungen.

Was Kinder in Zukunft erwartet

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Gemeinsam mit Forschenden von Save the Children, einer Organisation für die Rechte von Kindern, haben die Studienautorinnen und -autoren einen längeren Bericht verfasst.

Dieser stützt sich auf die Ergebnisse der Studie aus dem Fachmagazin Nature, bezieht aber auch Stimmen von Kindern ein.

Die Frage, die sich nun stellt: Was macht das mit Kindern und Jugendlichen, wenn sie dieses Ungleichgewicht so deutlich sehen? «Man kann verstehen, wenn die Jugendlichen wütend sind, wenn sie sehen, was es für ihre Zukunft bedeutet», sagt Sonia Seneviratne. Und diese Generation wisse auch, dass diese Auswirkungen die Konsequenzen von Entscheidungen vorheriger Generationen seien.

«Aber wenn wir die richtigen Entscheidungen jetzt treffen, können wir die Auswirkungen noch begrenzen», so die Forscherin. Sofern die Erwachsenen ihre Verantwortung gegenüber jüngeren Generationen auch wahrnehmen.

Wissenschaftsmagazin, 10.5.2025, 12:40 Uhr

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