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Klima in der Vergangenheit Ein unbekannter Vulkan und ein sehr bekannter Komponist

Wie ein privates Recherche-Projekt um Felix Mendelssohn und aktuelle Klimaforschung ein altes Rätsel lösen konnten.

Miserabel war das Wetter im Sommer 1831 in der Schweiz. «Ich habe mal grob nachgerechnet», sagt Walter Bersinger. «An etwa zwei Drittel der Tage hat es geregnet.» Und wie: Sintflutartige Niederschläge, Hagel alle paar Tage, Schnee bis in die Niederungen: «Das kam mir irgendwann schon sehr aussergewöhnlich vor.»

Felix Mendelssohn und die Schweiz

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Ein Porträt eines Mannes in historischer Kleidung.
Legende: Ölporträt Felix Mendelssohn Bartholdys, gemalt 1846 von Eduard Magnus. Wikimedia

Felix Mendelssohn bereiste die Schweiz mehrere Male. Im Jahr 1831 ist der Komponist erst gerade 22 Jahre alt – und bereits sehr erfolgreich. 1830/1831 macht er eine ausführliche Bildungsreise nach Italien und in die Schweiz. Das schlechte Wetter im Sommer 1831 erschwerte seine Reise durch die Schweiz phasenweise deutlich.

Trotzdem wird Mendelssohn ein grosser Fan der Schweiz. So schreibt er in einem seiner zahlreichen Briefe an seine Familie: «Die Fussreise durch dieses Land ist wirklich selbst bei so ungünstigem Wetter das Reizendste, was man sich nur denken kann. Bei heiterem Himmel muss es vor Vergnügen gar nicht auszuhalten sein.»

Er besucht die Schweiz während seines kurzen Lebens noch zwei weitere Male. Ob ihn die Landschaften und Begegnungen in der Schweiz zu bestimmten Werken inspiriert haben, ist nicht schlüssig überliefert.

Walter Bersinger hat viele Jahre eine Pensionskasse verwaltet. Seit seiner Pensionierung verfolgt er mit grosser Akribie ein privates Forschungsprojekt. Er rekonstruiert die Schweiz-Reisen des berühmten Komponisten und Dirigenten Felix Mendelssohn. Im Sommer 1831 war der Musiker fünf Wochen lang hierzulande unterwegs – und wurde dabei sehr nass.

Glücklicher Zufall

Im Juni 2024 hörte Walter Bersinger am Radio einen Beitrag mit dem Klimaforscher Michael Sigl. Der Forscher erzählt darin, wie heftige Vulkanausbrüche in der Vergangenheit das Klima auf der Erde nachweislich beeinflusst haben.

«Ich hatte sofort das Gefühl, Michal Sigl wäre die richtige Ansprechperson für mich», erinnert sich Walter Bersinger. Er kontaktiert den Forscher, die beiden mailen hin und her. «Michael Sigl bestätigte meine Vermutung, dass das katastrophal schlechte Wetter im Sommer 1831 sehr wahrscheinlich mit Vulkanismus zu tun hatte.»

Katastrophe mit globalen Auswirkungen

Der Klimaphysiker Sigl untersucht Eisbohrkerne aus der Antarktis und aus Grönland. In diesem sehr alten Eis stecken Informationen über das Klima zu längst vergangenen Zeiten. Als Bersinger und er sich austauschen, sitzt er grade an einer wissenschaftlichen Publikation, die genau zu Bersingers Fragen passt.

Was altes Eis über das vergangene Klima erzählt

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Eine Hand hält Metallstreifen über einen goldenen Apparat.
Legende: Auf dem Schmelzkopf werden die Eisbohrkernproben kontinuierlich geschmolzen und analysiert. SRF

Proben aus dem Eis dienen Forschenden als Klimaarchiv. Besonders das Eis in der Tiefe der antarktischen und des grönländischen Eisschildes ist sehr alt. Die im Eis eingeschlossene Luft enthält winzige Proben der damaligen Atmosphäre, mit den klimawirksamen Gasen wie CO₂, Lachgas oder Methan darin. Aus dem Eis lässt sich zudem herauslesen, welche Temperatur in der Vergangenheit auf dem antarktischen oder grönländischen Eisschild geherrscht haben. Dafür wird die genaue isotopische Zusammensetzung der Wassermoleküle im Eis analysiert. Die ist abhängig von der Temperatur.

Der Schwefel von grossen Vulkanausbrüchen dient den Klimaforschern gar als Datums-Marker für bestimmte Jahre. So ist 1815, das Jahr des kolossalen Ausbruchs des Vulkans Tambora, in allen Eisbohrkernen aus der Antarktis und aus Grönland zu erkennen. Wenn ein Vulkan auch genügend heftig Asche in die Atmosphäre gespuckt hat, ist auch diese im Eis zu finden – und hilft, den Ort eines Vulkanausbruchs ausfindig zu machen.

Aus früheren Analysen von Eisbohrkernen wusste Michael Sigl bereits, dass 1831 tatsächlich ein mächtiger Vulkanausbruch irgendwo auf der Welt stattgefunden haben musste. Bei jenem Ausbruch waren grosse Mengen Schwefel in die Atmosphäre gespuckt worden. Spuren davon konnte Sigl im antarktischen und grönländischen Eis nachweisen.

Der Aschespur folgen

«Schwefel bildet in der Atmosphäre ganz kleine Partikel», erklärt Michael Sigl. «Diese Aerosole verbreiten sich um den ganzen Globus und bleiben dann mehrere Jahre in den hohen Schichten der Atmosphäre. Dort schirmen sie das Sonnenlicht ab und können so das Klima auf der Erde abkühlen.»

Um herauszufinden, welcher Vulkan 1831 ausgebrochen war, brauchte er mehr als Schwefelspuren, er brauchte Vulkanasche. Michael Sigl dampfte alte Eisproben ein, präparierte die winzigen Aschepartikel darin und erhielt schliesslich einen chemischen Fingerabdruck jener Asche, die 1831 in die Atmosphäre geschleudert wurde.

Rätsel gelöst

Dieser chemische Fingerabdruck führte den Forscher zu einem Vulkankrater auf einer kleinen Insel im nördlichen Pazifik. Simushir heisst die Insel und sie ist Teil des pazifischen Feuerrings. Der Vulkan dort brach im Sommer 1831 so heftig aus, dass das Wetter selbst in weit entfernten Ländern wie der Schweiz verrückt spielte und das globale Klima um bis zu ein Grad abkühlte.

Blick auf einen Vulkansee mit grüner Insel in einer Kraterlandschaft.
Legende: Der Zavaritskii-Krater auf Simushir-Island im russischen Oblast. Blog Eugene Kaspersky

Damit war das Rätsel gelöst, warum Felix Mendelssohn 1831 in der Schweiz so grosses Pech hatte mit dem Wetter. «Für mich ist das eine grosse Freude», sagt Walter Bersinger. Die Studienergebnisse von Michael Sigl fügte er rasch auf seiner Webseite ein. Sie ist die bis heute umfassendste Arbeit zu den Schweiz-Reisen von Felix Mendelssohn Bartholdy – entstanden aus grosser Neugier, Liebe zum Detail und Freude an Mendelssohns Musik.

Wissenschaftsmagazin, 19.7.2025, 12:40 Uhr

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