Miserabel war das Wetter im Sommer 1831 in der Schweiz. «Ich habe mal grob nachgerechnet», sagt Walter Bersinger. «An etwa zwei Drittel der Tage hat es geregnet.» Und wie: Sintflutartige Niederschläge, Hagel alle paar Tage, Schnee bis in die Niederungen: «Das kam mir irgendwann schon sehr aussergewöhnlich vor.»
Walter Bersinger hat viele Jahre eine Pensionskasse verwaltet. Seit seiner Pensionierung verfolgt er mit grosser Akribie ein privates Forschungsprojekt. Er rekonstruiert die Schweiz-Reisen des berühmten Komponisten und Dirigenten Felix Mendelssohn. Im Sommer 1831 war der Musiker fünf Wochen lang hierzulande unterwegs – und wurde dabei sehr nass.
Glücklicher Zufall
Im Juni 2024 hörte Walter Bersinger am Radio einen Beitrag mit dem Klimaforscher Michael Sigl. Der Forscher erzählt darin, wie heftige Vulkanausbrüche in der Vergangenheit das Klima auf der Erde nachweislich beeinflusst haben.
«Ich hatte sofort das Gefühl, Michal Sigl wäre die richtige Ansprechperson für mich», erinnert sich Walter Bersinger. Er kontaktiert den Forscher, die beiden mailen hin und her. «Michael Sigl bestätigte meine Vermutung, dass das katastrophal schlechte Wetter im Sommer 1831 sehr wahrscheinlich mit Vulkanismus zu tun hatte.»
Katastrophe mit globalen Auswirkungen
Der Klimaphysiker Sigl untersucht Eisbohrkerne aus der Antarktis und aus Grönland. In diesem sehr alten Eis stecken Informationen über das Klima zu längst vergangenen Zeiten. Als Bersinger und er sich austauschen, sitzt er grade an einer wissenschaftlichen Publikation, die genau zu Bersingers Fragen passt.
Aus früheren Analysen von Eisbohrkernen wusste Michael Sigl bereits, dass 1831 tatsächlich ein mächtiger Vulkanausbruch irgendwo auf der Welt stattgefunden haben musste. Bei jenem Ausbruch waren grosse Mengen Schwefel in die Atmosphäre gespuckt worden. Spuren davon konnte Sigl im antarktischen und grönländischen Eis nachweisen.
Der Aschespur folgen
«Schwefel bildet in der Atmosphäre ganz kleine Partikel», erklärt Michael Sigl. «Diese Aerosole verbreiten sich um den ganzen Globus und bleiben dann mehrere Jahre in den hohen Schichten der Atmosphäre. Dort schirmen sie das Sonnenlicht ab und können so das Klima auf der Erde abkühlen.»
Um herauszufinden, welcher Vulkan 1831 ausgebrochen war, brauchte er mehr als Schwefelspuren, er brauchte Vulkanasche. Michael Sigl dampfte alte Eisproben ein, präparierte die winzigen Aschepartikel darin und erhielt schliesslich einen chemischen Fingerabdruck jener Asche, die 1831 in die Atmosphäre geschleudert wurde.
Rätsel gelöst
Dieser chemische Fingerabdruck führte den Forscher zu einem Vulkankrater auf einer kleinen Insel im nördlichen Pazifik. Simushir heisst die Insel und sie ist Teil des pazifischen Feuerrings. Der Vulkan dort brach im Sommer 1831 so heftig aus, dass das Wetter selbst in weit entfernten Ländern wie der Schweiz verrückt spielte und das globale Klima um bis zu ein Grad abkühlte.
Damit war das Rätsel gelöst, warum Felix Mendelssohn 1831 in der Schweiz so grosses Pech hatte mit dem Wetter. «Für mich ist das eine grosse Freude», sagt Walter Bersinger. Die Studienergebnisse von Michael Sigl fügte er rasch auf seiner Webseite ein. Sie ist die bis heute umfassendste Arbeit zu den Schweiz-Reisen von Felix Mendelssohn Bartholdy – entstanden aus grosser Neugier, Liebe zum Detail und Freude an Mendelssohns Musik.