Diesen Motor unter meinem «Füdli» wollte ich doch gar nicht. Aber meine Redaktionskolleginnen und -kollegen haben mich dazu verdonnert. Mich, der jährlich über 10’000 Kilometer auf allen Arten Velos fährt, Rennrad, Gravel- und Mountainbike, Alltagsvelo, Tourenrad, Retrovelo oder Militärfahrrad. Ausgerechnet ich soll einen Monat lang E- statt Muskel-Biker sein und herausfinden: Ist das E-Bike für die Faulen oder doch ein Fitnessgerät?
Anstrengender als ohne Motor?
Nun trete ich also den Ulmizberg hoch. Zwar bereits zum 101. Mal, aber zum ersten Mal mit Motor. Warum ich das weiss? Weil ich auf dem Fahrrad ein Zahlen-Nerd bin. Jeder Kilometer, jeder Herzschlag, jedes Watt, das ich in die Pedale drücke, dokumentiere ich. Und genau das macht diese 101. Fahrt und die folgenden so spannend... und überraschend. Kann es sein, dass ich sogar fester in die Pedale trete als ohne Motor?
Meine Leistungsmesspedale sagt gerade: 250 Watt. Normalerweise sind es zum «Warmfahren» um die 170 Watt. Erste Zweifel keimen auf: Ist E-Biken das Gegenteil von Bequemlichkeitssport? Doch je länger ich bergauf fahre, umso mehr fallen die Wattzahlen. Wie das am Ende der Tour wohl aussehen wird?
E-Bikes ersetzen selten das normale Fahrrad
E-Bike-Fahren muss man offenbar lernen. Selbst wenn man – wie ich – vom Velo ohne Motor umsteigt. Dabei weiss die Forschung: Zwei Drittel ersetzen mit dem E-Bike Auto, ÖV oder Fusswege. Weniger als ein Drittel ersetzten damit das Velo ohne Motor. Und schon löst sich das Vorurteil in Luft auf, dass E-Bikende doch nur ihr klassisches Velo in den Keller verbannen.
Im Gegenteil: Das E-Bike bewegt viele Menschen zu mehr Bewegung. Insbesondere ältere, die lange nicht oder nicht mehr Fahrrad gefahren sind. Oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, für die das Fahren mit einem motorlosen Velo kaum möglich wäre. In einer deutschen Studie gaben 35 Prozent der E-Bikerinnen und -Biker an, wegen körperlicher Einschränkungen das E-Bike zu nutzen.
Also doch nicht so anstrengend?
Am Ende meiner ersten Tour steht das nächste Vorurteil auf dem Prüfstand, oder zumindest wage ich eine erste Bestandsaufnahme: Ist E-Biken tatsächlich weniger anstrengend? Der Blick auf meine Leistungsdaten zeigt: heute schon mal ein wenig. Gut 20 Prozent habe ich weniger geleistet als auf derselben Runde ohne Motor.
-
Bild 1 von 4. Auch wenn sich E-Bikende weniger anstrengen, ergibt sich am Ende eine vergleichbare Belastung wie mit dem motorlosen Fahrrad. Der Grund: Man ermüdet nicht so schnell und fährt deshalb länger. Bildquelle: Simon Joller.
-
Bild 2 von 4. In der warmen Jahreszeit ist das E-Bike auch ein mögliches Verkehrsmittel um zur Arbeit zu fahren – je nach Weg und Region inklusive toller Ausblicke. Bildquelle: Simon Joller.
-
Bild 3 von 4. Das E-Bike bietet vielen Menschen eine Möglichkeit um sich mehr zu bewegen und kann sie dabei individuell unterstützen. Bildquelle: Simon Joller.
-
Bild 4 von 4. Mit einer höheren Unterstützungsstufe des Motors, ist auch der steile Waldweg kein Problem. Bildquelle: Simon Joller.
Ich denke an das Gespräch mit Joris Ryf. Er fährt Mountainbike-Rennen und ist auch E-Mountainbike-Weltmeister 2023. Sein Puls sei teils höher auf dem E-Bike als auf dem normalen Bike. Er erklärt sich das unter anderem damit, dass er insbesondere im Oberkörper mehr Kraft braucht mit dem schwereren E-Bike. Macht mich das E-Bike also einfach faul?
Zu schnell mit dem E-Bike
Die Hälfte meines E-Bike-Monats naht. Und siehe da: Wenn ich will, ist die Trainingsbelastung mit dem E-Bike nun genauso hoch wie mit dem Bio-Bike. So nennt man in der Veloszene das motorlose Fahrrad.
Aber: Ich habe meine Standardrunden deutlich schneller hinter mir und bin oft perplex, wie schnell ich zurück zuhause bin. Immer wieder hänge ich darum Extrarunden an. Für die Steigung zum Ulmizberg brauche ich statt 22 Minuten nur 17 – bei gleicher Anstrengung. Wähle ich nicht die tiefste, sondern eine höhere Unterstützungsstufe des Motors, schmelzen die Minuten weiter.
Bin ich jetzt typisch E-Biker oder doch die Ausnahme? Die Umweltwissenschaftlerin und Public Health-Expertin Sonja Kahlmeier weiss aus Studien, dass sich E-Bikende im Durchschnitt rund 10 bis 15 Prozent weniger anstrengen als Bio-Bikende. Nur: Sie fahren länger, weil sie weniger rasch ermüden. Was am Ende eine vergleichbare Belastung ergebe.
Meine E-Bike-Fahrten dauern immer länger. Nicht nur aus Sorge um die Reichweite des Akkus fahre ich praktisch permanent in der tiefsten Unterstützungsstufe des Motors. In der Regel kann man bei einem E-Bike in drei Stufen schalten. So habe ich auch das Gefühl, ich brauche am meisten Muskelkraft. Nur: Stimmt das auch?
Maximale Motorkraft, minimale Muskelkraft?
«Einstein» hat darum zusammen mit der ETH-Professorin Christina Spengler ein Experiment gemacht. Moderatorin Kathrin Hönegger fuhr sowohl in der tiefsten wie der höchsten Unterstützungsstufe. Das Ergebnis: Wie stark der Motor unterstützt, wirkt sich kaum auf die Leistung aus. Offenbar neigen wir dazu, mit einer recht fixen Kraft in die Pedale zu drücken. Ganz egal, wie stark ein Motor uns Zusatzschub verleiht.
Die Sportphysiologin Spengler ist von diesem Resultat nicht sonderlich überrascht. Das zeige, dass eben die Trainingseffekte auf dem E-Bike höher seien, als man gemeinhin annehme.
Mein E-Bike-Monat neigt sich dem Ende zu. Hat mich das E-Bike nun faul gemacht oder mich doch überzeugt, ein echtes Trainingsgerät zu sein? Jein. Wenn ich mir sage «komm, drück in die Pedale!», dann gibt es kaum Unterschiede zum Bio-Bike. Aber es gibt eben auch diese Momente, in denen ich mich vom Motor den Berg hochschieben lasse. Zumindest ein wenig.
Insgesamt waren meine Leistungsdaten darum über den ganzen Monat gesehen doch leicht tiefer als in all den Monaten ohne Motor. Allerdings im Rahmen, den auch die Studien belegen.
Gewinn für die Gesellschaft
Wenn ich das Gesamtbild betrachte, also wie das E-Bike viele Menschen (wieder) zu Bewegung motiviert, dann hat sich mein Bild vom «Velo für die Faulen» eindeutig gewandelt zum Velo für Menschen, die dank des Motors etwas für ihre Fitness tun. Und damit auch für ihre Gesundheit. Am Ende sogar etwas für die ganze Gesellschaft.
Und so sei noch eine letzte Studie zitiert, eine vom Amt für Raumentwicklung. Dieses berechnet, dass E-Bikende in der Schweiz jährlich 6000 Spitaleintritte vermeiden durch ihren verbesserten Gesundheitszustand. Zusammen mit vermiedenen Arbeitsabsenzen oder gewonnen Lebensjahren summiert sich der Gewinn für die Gesellschaft auf rund 330 Millionen Franken. Dass durch E-Bike-Unfälle auch Kosten entstehen, trübt diese Bilanz etwas. Rund 130 Millionen Franken betragen diese gemäss der Studie.
Auch ich stürzte. Beim einhändigen Fahren auf kleinen Waldwegen habe ich zweimal einen Ausflug in die Botanik gemacht. Aber das verbuchen wir unter die Dienste des Erkenntnisgewinns zu diesem Experiment.
Mit der freien Hand habe ich mich jeweils gefilmt. Damit aus den Bildern eine «Einstein»-Sendung werden kann. Gut, dass ich einhändig langsamer unterwegs war als ohne Motor. Ist also nichts passiert.