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Ein selbstfahrendes Auto.
Legende: Sobald «geführtes Fahren» in Mode kommt, werde es zur Gewohnheit, sagt der Psychologe. Keystone

Retourkutsche Das selbstfahrende Auto kratzt am Lack des Egos

Laut einer Studie des Autoclubs ADAC ist jeder Dritte bereit, die Kontrolle an einen Computer abzugeben. Verkehrspsychologe Marius Köppel über den Verlust der Autonomie.

SRF: Sind wir bereit die Kontrolle einem autonomen Fahrzeug abzugeben?

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Dr. phil. Marius Köppel ist Psychotherapeut und Autor. Seit es in der Schweiz Verkehrstherapie gibt, ist er dabei und arbeitet in Zug mit Klienten, die im Verkehr wiederholt Fehler machten.

Marius Köppel: Fahrkontrollen delegieren wir schon heute teilweise an Sensoren. Totaler Verzicht aufs Selberfahren wird aber vielen Mühe bereiten, kommt doch ein weiteres Stück Autonomie abhanden. Wir verlieren an Selbstbestimmung und die Herrschaft über ein kraftvolles Ding. Wer gern Beifahrer ist, mag es verschmerzen.

Wir verlieren aber auch Übung im Fahren. Das kann die eigene Fahrsicherheit verringern. Das ist wie bei Taschenrechnern, da verlernt man auch ein wenig das Kopfrechnen.

Einbusse an Autonomie ist eine Form von Herabsetzung des Menschen.

Wer wird besonders Mühe haben?

Probleme werden Leute haben, die das Auto und die persönliche Fahrweise als Mittel zur Selbstdarstellung benutzen oder als Statussymbol verstehen.

Ein Teil dieser Leute wird dieses Bedürfnis auf den Kauf und die Vorführung des ‹Selfdrivers› verschieben. Eine Anschaffung, mit der sich auch imponieren und einiges kompensieren lässt.

Wo sehen diese Leute das Problem?

Einbusse an Autonomie ist eine Form von Herabsetzung des Menschen, eine Art von Infantilisierung. Eine Maschine erledigt, was bisher im Ermessen und Handlungsspielraum eines Menschen lag.

Man gibt Macht ab und vertraut sich ganz einem Automaten an. Umgekehrt kann für die eigene Fahrweise, die weiterhin gebraucht wird, dazugelernt werden: Der kluge Lenker vergleicht neugierig und mit Gewinn die eigene Fahrweise mit der automatisierten.

Werden Sie andere Mittel finden, um die Selbstdarstellung zu kompensieren?

Alles, was in den eigenen Augen scheinbare Selbstvergrösserung bietet und die Illusion fördert, auch von andern bewundert zu werden, mag zur Kompensation geeignet sein.

Allein die Verlagerung des Verkehrs von der Strasse ins Bett taugt weniger dazu, weil das Publikum fehlt. Dann schon eher sportliche Leistung, entsprechendes Aussehen, grosse Reden, Schuhe, Kleider.

Was bräuchte es, damit wir unsere Selbstbestimmung abgeben?

Stets weiter an Selbstbestimmung einzubüssen, ist ein ernstes Übel. Dadurch geht auch die persönliche Verantwortung verloren – eingebaut ins «Programm» kommt sie zuletzt abhanden. Sobald «geführtes Fahren» in Mode kommt, wird es Gewohnheit werden und moderne Fremdbestimmung wird ungewollt zu einer Selbstverständlichkeit.

Sendung: SRF 1, Einstein, 22.06.2017, 22:25 Uhr

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