Frau Handschuh, welche Kleidung können wir eigentlich mit gutem Gewissen kaufen?
Da gibt es eine Menge Möglichkeiten. Immer mehr Marken produzieren ökologisch und nachhaltig – auch in Bangladesch. Sie ermöglichen den Menschen dort eine faire, sozial gerechte und gesunde Lebensgrundlage. Bangladesch ist nicht gleichbedeutend mit «Es geht nicht». Meiner Meinung nach liegt das Problem auch viel mehr in unserem Lebensstil des «immer schneller, höher und weiter». Die Finanzindustrie ist bereits daran kollabiert und die Modeindustrie ist auch völlig überreizt.
Die überreizte Modeindustrie wird oft mit «Fast Fashion» beschrieben – können Sie den Begriff kurz erklären?
Kaum auf dem Laufsteg, soll der Trend schon weltweit im Laden hängen. Das Ergebnis: Es werden unzählige Kollektionen pro Jahr produziert und es entsteht ein Konsumverhalten, bei dem manche Kleidungsstücke nur noch ein- bis zweimal getragen werden – am Umsatz gemessen ein unglaublicher Erfolg.
Der offenbar eine grosse dunkle Seite hat …
Um die neuesten Trends in diesem Tempo anbieten zu können, braucht es wahnsinnig schnelle Produktionszyklen. Die Zuliefererkette ist enorm komplex geworden. Da nimmt irgendein Subunternehmer einen Auftrag an, gibt ihn in Teilen weiter – selbst die Ursprungsauftraggeber durchschauen das teilweise nicht mehr.
Wer trägt also die Verantwortung?
Die Hersteller müssen die Prozesse so weit wie möglich durchdringen und kontrollieren. Die Sustainable Apparel Coalition ist eine hoffnungsvolle Initiative auf Industrieseite, die viel bewegt. Viele NGOs machen politischen Druck, zum Beispiel die Clean Clothes Campaign . Und natürlich müssen wir Verbraucher fragen, was unsere Beteiligung ist, denn Bangladesch fängt ja in unserem Kleiderschrank an. Letztendlich geht es doch darum: Was heisst Lebensqualität für uns? Ein Kleidungsstück, das ich drei Mal trage und über das ich danach noch in der Zeitung lese, dass es toxisch ist?
Was wären Auswege?
Es gibt den starken Gegentrend der «Slow Fashion». Das Thema Qualität beispielsweise kommt zurück. Es gibt einen Boom von Wiederverkaufsplattformen wie Kleiderkreisel, die zwar noch immer belächelt werden, aber unglaublichen Erfolg haben. Dort sehen Sie, dass Fast Fashion einen ganz geringen Wiederverkaufswert hat. Was läuft, sind Produkte mit hoher Qualität.
Nachhaltige Mode ist also in?
Der Wunsch nach Verbindung, zu wissen, woher etwas kommt, das ist ein ganz starker Treiber. Wenn Sie nachhaltige Mode kaufen, kennen Sie die Designer oft noch. Meist weiss man auch, wo die Baumwolle herkommt, wo genäht wird – die Geschichte wird erzählt. Diese identitätsstiftende Wirkung ist wichtig. Es ist dasselbe, wenn Sie einen Salatkopf selbst anbauen und ernten.
Ist nachhaltige Mode nicht etwas, was sich nur eine ganz bestimmte Schicht leisten kann?
Links zum Thema
Ein grosses britisches Handelsfachblatt zitierte letzte Woche eine Studie, nach der die Tragödie von Bangladesch bei fast der Hälfte der Konsumenten keinen Einfluss auf den Kleiderkauf haben wird. Das klingt nach schlechter Nachricht. Aber eigentlich heisst das doch, dass die andere Hälfte bereit ist, etwas zu ändern. Wenn man zurückblickt, wurden Veränderungen meist durch eine kleine Avantgarde angestossen. Vor 30 Jahre galten die Pioniere der Bio- und Ökobewegung als Spinner, heute sind Green Energy und Green Tech trendy und bringen viel Geld. Die Bewegung ist im Mainstream angekommen. Ich denke, dass auch die Modeindustrie sich verändern wird.
Wo geht der Modetrend ihrer Meinung nach hin?
Ein Trend provoziert immer einen Gegentrend und je schneller es in einem Bereich zugeht, desto langsamer wird ein anderer. Wir werden uns wieder mehr fragen, was kaufen wir eigentlich? Wie lange hält das? Wo kommt es her? Problematisch wird eher sein, wie wir an diese anderen Produkte kommen. Die Händler, die es schaffen, der verändernden Nachfrage ein intelligenten Angebot zu bieten, die werden Erfolg haben.
Gibt es da schon Beispiele?
Patagonia ist der absolute Vorreiter in dem Bereich, mit ihrer Initiative «Footprint Chronicles». Dort heisst es: Wir versuchen, so nachhaltig wie möglich zu sein, aber auch wir wissen, wir sind noch nicht perfekt. Das Neue ist, dass sie es kommunizieren! Die Umweltchefin von Patagonia, Jill Dumain, hat einmal gesagt: «Clear is the new clever» – sie machen transparent, dass es noch nicht perfekt ist, aber sie sind auf dem Weg dorthin.