Wäre das Zürcher Oberland vor 250 Jahren fruchtbares Land gewesen, hätte sich die Region zwischen Greifen- und Pfäffikersee vielleicht anders entwickelt. Die vielen Sümpfe ermöglichten aber den Menschen dieser Gegend keine grossen Erträge mit Landwirtschaft. So wurde das Textilgewerbe eine willkommene Einnahmequelle für Heimarbeiterinnen, als es sich 17. Jahrhundert auszubreiten begann.
Die Händler aus der Stadt liessen ihre Baumwolle auf dem Land zu Garn verarbeiten. Ende des 18. Jahrhunderts arbeitete über die Hälfte der Bevölkerung des oberen Glatttals als Spinner oder Weber. Die Ärmsten lebten ausschliesslich von der Heimarbeit, Kleinbauern waren auf den Zusatzverdienst angewiesen. Die erste grosse Textilkrise liess allerdings nicht lange auf sich warten.
Maschinen ersetzen Heimarbeit
Die industrielle Revolution war in Fahrt gekommen. Die Massenproduktion mit ersten Spinnmaschinen brach der Handspinnerei in der Schweiz das Genick: Als billiges Maschinengarn aus England den Kontinent zu überschwemmen begann, führte dies schnell zur völligen Verarmung der Handspinner im Zürcher Oberland; dazu kam die Hungersnot von 1816/17.
Aber praktisch gleichzeitig setzte hier eine Serie von Fabrikgründungen ein. Und weil die Maschinen einen erhöhten Energiebedarf hatten, konzentrierten sich diese Fabriken an den grösseren Flussläufen. Nur hier war es möglich, die Spinnmaschinen mit Wasserkraft zu betreiben. Im oberen Glatttal kam für die Energieversorgung der neuen Maschinen nur der Aabach zwischen Pfäffiker- und Greifensee in Frage. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden am Aabach 15 Spinnereien. 12 Prozent aller Spindeln der Schweiz wurden am 8 Kilometer langen Gewässer betrieben.
Der Millionenbach bringt Wohlstand
Viele der verarmten Handspinner hatten nun wieder eine Existenz: Sie wurden Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen. Andere wechselten von der Spinnerei zur Baumwollweberei. Tausende von Handwebern schufen sich damit ein neues Einkommen. Aber auch dieses Handwerk wurde mehr und mehr von Maschinen verdrängt, und um 1830 standen die ersten mechanischen Webstühle in eigens gebauten grossen Fabriken. Die Handweber sahen ihre Existenz bedroht und protestierten gegen die Fabrikanten. Sie forderten sogar ein Maschinenverbot. Der Konflikt gipfelte im berühmten Brand von Uster, als erzürnte Handweber die neue Weberei in Oberuster in Brand steckten.
Der Fortschritt war aber nicht aufzuhalten, die Fabriken am Aabach florierten. Im Volksmund wurde er nun «Millionenbach» genannt, weil er die Fabrikherren so reich machte. Noch waren zwar die mechanischen Webstühle nicht so effizient, dass sie die Handweber völlig ersetzen konnten. Aber mit jeder Verbesserung der Maschinen schwand die Konkurrenzfähigkeit der Handweberei. Die nächste Armutswelle schwappte über das Land.
Dampfmaschinen statt Wasserräder
Am Millionenbach arbeiteten 1870 fast die Hälfte der Erwerbstätigen in Fabriken, bevor die grosse Depression auch das Wachstum in der Schweizer Textilindustrie stagnieren liess. Gleichzeitig schrumpfte die Handweberei durch die Krise praktisch zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen. Aber bis zum ersten Weltkrieg erholte sich die Branche.
Der Millionenbach verlor als Energielieferant allerdings zunehmend an Bedeutung: Die vielen Maschinen benötigten so viel Energie, dass die Wasserkraft nicht ausreichte und in den Fabriken zusätzlich Dampfmaschinen eingebaut wurden. Und mit dem Aufkommen der Elektrizität war auch der Standort am Bach nicht mehr so wichtig.
Der Niedergang – Lofts, Museen, Büros
Weltkriege, Wirtschaftskrisen und die internationale Konkurrenz liessen die Textilindustrie in der Schweiz und am Aabach im 20. Jh. nach und nach schrumpfen. Gegen Billiglohn-Produzenten in Asien war die Schweizer Textil- und Bekleidungsindustrie machtlos, zumindest was die Massenproduktion angeht. Lange wurde versucht, mit Investitionen in Maschinen und neue Technologien der Konkurrenz zu trotzen, die Produktivität zu steigern. Erfolglos.
Heute ist von der grossen Zeit der Textilindustrie am Aabach nicht mehr viel zu spüren. Zu sehen allerdings schon: Die mächtigen Fabrikgebäude prägen die Landschaft nach wie vor. Die Hüllen existieren noch, der Inhalt hat sich verändert. Museen, Lofts, Kleingewerbe aller Art – die Immobilien stehen oft unter Schutz und werden genutzt. In Seegräben-Aathal wird zurzeit eine ehemalige Fabrik in ein Bürogebäude umgebaut. Hier wurde am längsten produziert: 2004 musste die Spinnerei Streiff aufgeben. Aus dem Millionenbach ist längst wieder der Aabach geworden.
Quelle: R. Jäger, M. Lemmenmeier, A. Rohr, P. Wiher: Baumwollgarn als Schicksalsfaden (Chronos Verlag, Zürich, 1986)