Die Räder sind so gross wie ein Mensch. Wer in die Führerkabine will, muss eine Treppe hinaufsteigen, als wäre es der erste Stock eines Einfamilienhauses.
Alles ist gigantisch an diesem riesigen Kipplastwagen, oder Dumper, wie ihn die Fachleute nennen. Auch der Spritverbrauch: 50’000 Liter Diesel schluckt so ein Gefährt pro Jahr.
Bieridee nach Geschäftsabschluss
In der Schweiz transportiert zum Beispiel die Zementfirma Vigier AG damit Kalksteine in einem Steinbruch oberhalb von Biel. Die Lastwagen bezieht sie bei der Baumaschinenfirma Kuhn aus dem Thurgau.
Die Idee, diese Riesen-Dumper zu elektrifizieren, sei ihm beim Feierabendbier nach einem Geschäftsabschluss gekommen, sagt der Geschäftsführer der Firma Kuhn, Franz Kissling: «Der Chef von Vigier sagte mir, wenn ich es schaffe, einen elektrischen Dumper zu liefern, dann kauft er ihn mir ab.»
Von der Dreckschleuder zum Stromproduzenten
Die Idee dahinter: Die Riesenlaster transportieren die tonnenschweren Kalksteinbrocken im weitläufigen Steinbruchgebiet von oben nach unten. Dabei werden sie von der Schwerkraft angetrieben. Ausgestattet mit einem Elektromotor, können sie so Energie gewinnen.
Berechnungen zeigen: Beim Herunterfahren mit Last wird ein Viertel mehr Energie produziert, als der Lastwagen braucht, um danach leer wieder hochzufahren. Aus der CO2-Dreckschleuder wird so also ein Plus-Energie-Lastwagen, der den überschüssigen Strom ins Stromnetz einspeisen kann.
Prototyp mit vielen neu entwickelten Teilen
Soweit die Idee. Aber ein Dieselfahrzeug dieser Grösse zu einem Elektrofahrzeug umzubauen, ist leichter gesagt als getan.
Noch nie ist eine so grosse Batterie für ein Strassenfahrzeug entwickelt worden. Vier Batterien braucht es, jede davon ist so gross wie ein Schrank und wiegt mehr als eine Tonne.
Die Batterien dürfen nicht zu heiss werden, sonst können sie sich entzünden. Die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt EMPA hat entsprechende Tests gemacht und künstlich einen Kurzschluss provoziert.
Andreas Sutter, der das Projekt E-Dumper leitet, beruhigt: «Die Tests haben ergeben, dass die Nachbarzellen der Batterie nicht über 300 Grad warm werden und sich somit nicht entzünden können.» Alles im grünen Bereich also.
Grosses Interesse beim Rollout
Anfang Dezember 2017 ist es soweit. Das grösste je gebaute elektrische Strassengefährt steht bereit in einer Werkhalle im thurgauischen Lommis. Es ist umringt von Fans der Elektromobilität.
Mehr als 50 Mitglieder des Tesla-Clubs sind angereist. «Jetzt möchte ich Sie bitten...», sagt Geschäftsführer Kissling ins Mikrofon, «das Gefährt ist relativ gross, stehen Sie bitte zur Seite, damit wir rausfahren können.»
Langsam und unter Beobachtung Dutzender Handy-Kameras setzt sich der Elektro-Lastwagen in Bewegung, mit einem deutlich hörbaren Surren, ganz ohne Dieselruss.
Praxistest steht noch bevor
Das Interesse am elektrischen Dumper ist gross. Bergbaufirmen aus Australien, Chile, Deutschland und der Schweiz überlegen sich, ob sie sich auch solche Fahrzeuge anschaffen wollen. Bisher handelt es sich allerdings um einen Prototypen.
Das Bundesamt für Energie hat die Entwicklung mit 700’000 Franken unterstützt. Damit es sich wirtschaftlich lohnt, den E-Dumper in Serie herzustellen, müssen die Kosten um knapp einen Drittel sinken. Vor allem aber muss sich der gigantische Elektrolastwagen ab April 2018 im Steinbruch ob Biel auch in der Praxis bewähren.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 09.12.2017, 12:40 Uhr.