Zum Inhalt springen

Ungesund und trotzdem erlaubt Die häufigsten Pestizide haben es in sich

Pestizide in Lebensmitteln machen Angst. Skepsis ist geboten: Auch die gängigsten Spritzmittel sind nicht unbedenklich.

Auch wenn sie Obst und Gemüse vor Schäden schützen: Pestizide sind Gifte, deren Toxizität der Lebensmittelproduktion zuliebe in Kauf genommen wird. Zwar kommt kein Pestizid ohne Laborstudien auf den Markt – doch die führt die Industrie selbst aus und bewertet die Ergebnisse auch selbst. Nach einer Prüfung erteilen die Behörden dann die Zulassung.

Langzeitfolgen aber zeigen sich naturgemäss erst nach jahrelangem Einsatz in Bevölkerungsstudien. Oft decken sich die Ergebnisse der Labor- und Bevölkerungsstudien nicht – die Gewichtung obliegt dann Experten und fällt wiederum meist sehr unterschiedlich aus.

Ein Geheimnis ist es dennoch nicht: Tiere und Menschen stecken die Gifte nicht einfach so weg. In Frankreich beispielsweise ist Parkinson bei Bauern als Berufskrankheit nach jahrzehntelanger Gift-Exposition anerkannt.

Pestizid von heute – Skandal von morgen?

Dennoch wird an Pflanzenschutzmitteln in der konventionellen Landwirtschaft nicht gespart. 2200 Tonnen Wirkstoff werden jährlich in der Schweiz versprüht. Die Vergangenheit zeigt: Für einen Teil dieser Stoffe könnte der Moment kommen, wo die Studienlage zur Gesundheitsschädlichkeit so erdrückend wird, dass sie auf den Index kommen. Auch fünf der häufigsten Pestizide sind davor nicht gefeit:

Beispiel 1: Glyphosat

Das hochwirksame Unkrautvernichtungsmittel ist weltweit eines der am häufigsten eingesetzten Pestizide. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte Glyphosat 2015 als «wahrscheinlich krebserregend» für Menschen ein. Es steht auch unter Verdacht, Missbildungen bei Neugeborenen auszulösen.

Die EU-Lebensmittelbehörden EFSA und die EU-Chemikalienagentur ECHA dagegen beurteilten die Studienlage als nicht ausreichend für eine solche Klassifizierung, solange die Belastung der Bevölkerung die Grenzwerte nicht überschreite. Folglich hat die EU Glyphosat erst kürzlich für weitere fünf Jahre zugelassen – auch, weil der Grundstoff Glyphosat in vielen günstigen Spritzmitteln enthalten ist und noch dazu so wirksam ist wie kaum ein anderes Herbizid.

Vor allem im Rahmen des Anbaus von Trauben, Kartoffeln, Hülsenfrüchten oder Getreide kommt Glyphosat zum Einsatz. In 40 Prozent getesteter Lebensmittelproben fanden sich Rückstände – wie beispielsweise in Müeslis, Brot oder Pasta, aber auch in Bier oder Wein – jedoch immer unterhalb der offiziellen kritischen Grenze. Weil in der Schweiz Getreide, Obst und Gemüse nicht kurz vor der Ernte gespritzt werden, ist es um die Belastung gut gestellt, über importierte Ware landet das Pestizid aber dennoch beim Endverbraucher.

Verdorrtes Gras nach einer Glyphosat-Behandlung.
Legende: Unkraut vergeht: Nach einer Glyphosatdusche wird es braun auf dem Feld. imago

Beispiel 2: Neonicotinoide

Neonicotinoide gehören zu den effektivsten Mitteln der Schädlingsbekämpfung. Sie sind in den letzten Jahren als Bienen-Killer in die Schlagzeilen geraten. Dennoch setzen Schweizer Bauern jährlich 2460 Kilo des hochwirksamen Nervengifts ein.

Bereits 2013 stellte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit fest, dass zwei der am häufigsten eingesetzten Neonicotinoide, die Insektizide Acetamiprid und Imidacloprid, die Entwicklung des Nervensystems stören können und beide Stoffe viermal giftiger seien als bislang angenommen. Entsprechend gesenkt wurden die zulässigen Grenzwerte in Lebensmitteln jedoch nicht.

Eine japanische Untersuchung beispielsweise zeigte, dass bei über 4000 Patientinnen und Patienten, die besonders viel Neonicotinoide aufnahmen, Symptome wie übermässiges Zittern auftraten. Die Symptome nahmen ab, wenn die Patienten einige Zeit keine belasteten Produkte verzehrten. Doch auch hier gilt: Andere Studien belegen eine Unbedenklichkeit.

Tote Biene in einer Blüte.
Legende: Neonicotinoide sind ein Grund, aber nicht die alleinige Ursache des Bienensterbens. imago

Beispiel 3: Captan

Der Anti-Pilz-Wirkstoff Captan ist seit 1949 zugelassen und wird vor allem im Obst- und Weinbau eingesetzt. Es steht im Verdacht, krebserregend zu sein – so stufte die unabhängige amerikanische Behörde Environmental Protection Agency (EPA) den Wirkstoff ein. Trotzdem ist er in vielen EU-Staaten sowie der Schweiz im Einsatz. Greenpeace entdeckte bei einer Untersuchung 2015 in vier von acht konventionellen Äpfeln in der Schweiz Rückstände davon, allerdings innerhalb der Grenzwerte.

Beispiel 4: Kupfer

Kupfer ist als Pflanzenschutzmittel gegen Pilzbefall im Obst- und Weinbau und Kartoffelanbau schon seit 100 Jahren weitverbreitet. Es wird sogar von Biobauern eingesetzt, weil es kein synthetisches Gift ist. EFSA-Experten halten den Einsatz aber für riskant, vor allem für Kinder – Kupfer soll aber erst in sehr hohen Dosen toxisch wirken und zu Entzündungen, Arthritis oder Bluthochdruck und über Umwege auch zu Erbgutschäden führen.

Beispiel 5: moderne Pestizide

Selbst moderne Pestizide, insbesondere Fungizide wie Procymidon, Vinclozolin, Linuron oder Epoxiconazol, sind gesundheitlich kritisch zu bewerten. Sie gelten als hormonaktiv, vor allem antiandrogen – das heisst, sie wirken gegen männliche Sexualhormone. Doch auch hier gilt: Die Effekte zeigen sich erst nach Jahren oder Jahrzehnten in verminderter Fruchtbarkeit und Intelligenz, Organschäden oder Krebs.

Seit 2011 dürfen in der EU keine hormonaktiven sowie krebserregenden Pestizide mehr auf dem Markt sein. Aber: Es herrscht nach wie vor grosse Uneinigkeit über die Definition von «hormonaktiv». Interpretiert man das Verbot streng, könnten mehr als die Hälfte aller gängigen Mittel verboten werden. Das brächte die Landwirtschaft in Bedrängnis, denn werden nur wenige und immer die gleichen Spritzmittel benützt, entstehen schneller Resistenzen.

Meistgelesene Artikel