- Der diesjährige Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geht an Mary E. Brunkow, Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi.
- Sie erhielten den Nobelpreis für «ihre Entdeckungen zur peripheren Immuntoleranz», wie die Vergabestelle mitteilte.
- Die periphere Immuntoleranz ist eine Möglichkeit, mit der der Körper verhindert, dass das Immunsystem aus dem Gleichgewicht gerät und statt fremder Eindringlinge das eigene Gewebe angreift.
Unser Körper besitzt eine Art hochspezialisierte Sicherheitsfirma: das Immunsystem. Ihre Angestellten patrouillieren unermüdlich, erkennen Eindringlinge und eliminieren Gefahren. Doch was passiert, wenn diese Ordnungshüter selbst ausser Kontrolle geraten? Wenn sie plötzlich vor lauter Aktionismus die eigentlich zu beschützenden Leute – also unsere eigenen Zellen – auf einmal ins Visier nehmen und verdächtigen?
Genau hier greift eine Spezialeinheit ein: regulatorische T-Zellen (TREG). Sie überwachen die komplexen Einsätze der Security-Agentur, verhindern Übergriffe und sorgen für Frieden im Inneren. Für die Entdeckung dieser «inneren Einsatzkräfte» erhalten Mary E. Brunkow, Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie oder Medizin und bekommen umgerechnet rund 930'000 Schweizer Franken.
«Das ist sehr cool», sagt die Immunologin Nicole Joller von der Universität Zürich. Denn deren Forschung habe eine riesige Bedeutung für das Verständnis von Autoimmunkrankheiten wie Diabetes Typ-1, Multiple Sklerose und rheumatoide Arthritis. Auch bei Transplantationen beeinflussen diese Zellen die Immunantwort und vermindern die Abstossung des fremden Gewebes.
Ein Paradigmenwechsel in der Immunologie
Bis in die 1990er Jahre galt: Nur im Thymus werden gefährliche Immunzellen sofort aussortiert – die sogenannte zentrale Toleranz. Doch der Japaner Sakaguchi stellte diese Lehrmeinung infrage. 1995 identifizierte er eine neue Zellklasse, die wie interne Ermittler agiert: die regulatorischen T-Zellen. Sie verhindern, dass die Immunreaktion aus dem Ruder läuft und dadurch Krankheiten entstehen.
«Ähnlich wie gewöhnliche T-Zellen werden die regulatorischen T-Zellen zwar auch im Thymus trainiert und ausgebildet», sagt Joller. Doch sie hätten sozusagen auf ihrer ID-Karte noch den wichtigen Zusatz «FOXP3» stehen. Dies weist sie zu Kontrolleuren des Immunsystems aus, weil bei ihnen das FOXP3 Gen aktiv ist.
Funktioniert das Gen FOXP3 nicht richtig, greifen die Zellen des Immunsystems dann die eigenen Zellen des Gewebes an. So könnten beispielsweise Neugeborene mit einer FOXP3-Mutation ohne eine rettende Knochenmarktransplantation nur ein bis zwei Jahre überleben. Doch dank der Forschungen des diesjährigen Nobelpreises lässt sich die Krankheit viel schneller erkennen und behandeln.
Der aktuelle Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zeigt vor allem auf, dass die wahre Stärke des Immunsystems nicht nur allein in der Härte seiner Einsätze liegt, sondern vor allem auch in der Fähigkeit, Eskalationen zu verhindern. Es gebe derzeit unter anderem auch klinische Versuche, etwa bei erblicher Diabetes Typ-1, sagt Joller. Dabei werden den Erkrankten regulatorische T-Zellen verabreicht, damit diese wieder die Kontrolle übernehmen können und das Immunsystem wieder ins Lot bringen.