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Bildschirm versus Buch «Digitales Lesen müssen wir zuerst lernen»

Wie steht es um die Kulturtechnik des Lesens mit zunehmenden digitalen Angeboten? Und wie sollen Kinder heute eigentlich das Lesen erlernen? Eine internationale Forschergruppe hat nun in der sogenannten Stavanger-Erklärung Empfehlungen dazu abgegeben. Der Universitätsprofessor Gerhard Lauer ist Mitglied dieser Gruppe und erklärt im Interview den Unterschied zwischen digitalem und analogem Lesen.

Gerhard Lauer

Professor für Digital Humanities

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Gerhard Lauer ist Professor für Digital Humanities an der Universität Basel. Er beschäftigt sich unter anderem mit dem Einfluss und den Möglichkeiten der Digitalisierung auf die Geistes- und Kulturwissenschaften.

SRF: Welchen Unterschied macht es, wenn wir einen Text digital an unserem Bildschirm lesen, statt ihn vor uns in einem Buch oder einer Zeitung zu haben?

Gerhard Lauer: Die meisten von uns sind es gewohnt, am Bildschirm eher oberflächlich und schnell zu lesen. Dadurch betreiben sie nicht wirklich eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Inhalten des Textes.

Wieso liest man Papiertexte besser oder weniger oberflächlich?

Der Hauptgrund ist die Gewohnheit. Wir haben das so eingeübt. Der zweite Grund ist das Buch selbst. Wenn Sie ein Buch vor sich haben und sie ungefähr in der Mitte des Buches sind, dann wissen Sie, dass der Held jetzt nicht sofort sterben kann, denn die andere Hälfte des Buches braucht den Helden ja auch noch. Sie haben also ein Gefühl für die Geschichte entwickelt, welches sich aus der Grösse des Buches speist.

In der Stavanger Erklärung heisst es, dass der Befund des oberflächlichen Lesens im Digitalen vor allem für Sachtexte gilt, nicht für Romane und Geschichten. Warum ist das so?

Wenn wir einen Roman lesen, rezipieren wir einen Text anders, als wenn wir einen Text auf Informationen hin lesen. Bei einem Roman lesen wir immersiv. Das heisst, wir vergessen uns, schauen nicht nach links und rechts. Wir wollen einfach von der Geschichte weitergetragen werden. Bei Sachtexten hingegen ist es wichtig, dass wir sie argumentativ verstehen. Wir suchen nach einer Hierarchie im Text: Welches sind die Hauptargumente und welches sind stützende Argumente?

Befunde der Stavanger-Erklärung zum digitalen Lesen

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  • Der digitale Text hat den Vorteil, dass man seine Textpräsentation auf unsere Präferenzen und Bedürfnisse abstimmen kann. Ist die Leseumgebung auf uns angepasst, sind wir motivierter und haben ein besseres Verständnis des Textes.
  • Gleichzeitig überschätzen wir unsere Verständnisfähigkeit beim digitalen Lesen. Wir glauben, mehr verstanden zu haben, als wir dann tatsächlich in der Lage wären wiederzugeben.
  • Eine Metastudie mit ingesamt mehr als 170'000 Teilnehmenden hat bewiesen, dass wir uns den Inhalt von Informationstexten eindeutig besser merken können, wenn wir ihn auf Papier lesen. Bei narrativen Texten wie Romanen, konnte kein Unterschied festgestellt werden.

Hat die Generation der «Digital Natives» Vorteile, weil sie mit dem digitalen Lesen aufwächst und nicht wie die ältere Generation von Papier auf die Bildschirme umsteigen muss?

Sie haben nur dann Vorteile, wenn sie das digitale Lesen richtig eingeübt haben. Und genau das ist der springende Punkt.

Digital Natives haben nur dann Vorteile beim digitalen Lesen, wenn sie gelernt haben, auch analoge Texte sorgfältig zu lesen.

Also ist es nicht nur eine Frage der Generation, sondern auch der Bildung?

Ja. Es gibt diejenigen, die gelernt haben, nicht nur schnell durchs Internet zu gehen oder bloss kurze Nachrichten zu schreiben, sondern umfangreiche Texte zu lesen und auch zu schreiben.

Das sind meist jene Kinder und Jugendliche, die in der Gesellschaft eher privilegierter und bildungsnäher aufgewachsen sind. Andere, welche diese Art von Lesen und Schreiben nicht so umfangreich erlernt haben, stehen teilweise vor einer Reihe von Problemen.

Die Empfehlungen der Stavanger-Erklärung

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  • Digitale Lesefertigkeit muss geschult werden, indem man den Schülern Strategien bereitstellt für das digitale Lesen.
  • Das Lesen gedruckter Bücher und Texte soll an Schulen weiterhin praktiziert werden.
  • Lehrerinnen und Erzieher müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass ein rasches Ersetzen gedruckter durch digitale Texte nicht folgenlos bleibt.
  • Die Einführung digitaler Technologien im Bildungsbereich braucht bessere Leitlinien.
  • Es braucht digitale Tools, welche die Erkenntnisse der Forschung miteinbezieht.

Hier geht es zur deutschsprachigen Version der Stavanger-Erklärung.

Sie geben nun als Forschernetzwerk in der Stavanger-Erklärung eine Empfehlung ab. Was empfehlen Sie Lehrpersonen und Erziehern?

Wir empfehlen, dass man sich weiterhin in der Schule mit dem vertieften Lesen auseinandersetzt und dazu gehört auch, dass wir lernen, wann welches Medium für einen das Beste ist.

Die Fragen stellte Sarah Herwig.

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