Heute stand quasi die Biologie vor dem Richter. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg musste entscheiden, wo Natur aufhört und wo Menschenwerk beginnt. Oder anders: ab wann Eingriffe von Pflanzenzüchtern als Gentechnik gelten.
Für die einen ist ein Eingriff ein Eingriff – und damit eine gentechnische Veränderung, die deklariert und auf eventuelle Risiken geprüft werden muss.
Für die anderen sind Veränderungen im Labor, die Mutationen – also Erbgutveränderungen, die der Natur ähneln – keine Gentechnik im engeren Sinne. Sie erhofften sich, dass solche Veränderungen nicht mehr vor den Konsumenten deklariert werden müssen.
Nun haben die Richter entschieden, dass auch die neuen, quasi subtileren Eingriffe bleiben, was sie sind: nämlich gentechnische Eingriffe durch den Menschen.
Die Biobauern, Gentechnik-Kritiker und Naturschützer freuen sich über den Entscheid, die Industrie und die Wissenschaft sind enttäuscht.
SRF: Wie argumentieren die Richter?
Daniel Theis: Die EU-Richter berufen sich auf das Vorsorge-Prinzip. Das heisst: Sie sehen eine mögliche Gefährdung mit den neuen Methoden, denn diese nehmen «eine auf natürliche Weise nicht mögliche Veränderungen am genetischen Material eines Organismus vor», schreiben die Richter in ihrer Begründung.
Die Konsumenten wollen das nicht.
Die Stimmung in Europa ist seit jeher eher gentech-kritisch. Da kommt auch Druck von Konsumenten, die sich regelmässig gegen gentechnisch veränderte Organismen aussprechen.
Darum sind auch in den Regalen in Europa keine Produkte zu finden. Im Gegensatz zu den USA, welche die neuen Methoden nicht streng regulieren – dort fallen sie nicht unter das Gentechnikgesetz.
Die Politik drückte sich vor dem Entscheid. Jetzt haben die Richter diesen gefällt. Mit welchen Folgen für die Gentechnik-Diskussion?
Jetzt hat statt der Politik ein Gerichtshof entschieden. Das ist auf EU Ebene allerdings nicht aussergewöhnlich. Der Europäische Gerichtshof fällt immer wieder sehr weitreichende Urteile und muss dafür auch regelmässig Kritik einstecken.
Interessant wird es jetzt für die Schweiz: Der Bundesrat will bis Ende Jahr entscheiden, wie hier die neuen Methoden geregelt werden sollen.
Bis jetzt war offen, in welche Richtung es geht. Bei der Diskussion um das Gentech-Moratorium letztes Jahr war der Bundesrat eher pro-Gentechnik.
Anders die Ethikkommission. Die sprach sich vor kurzem genau so aus, wie jetzt die Richter in Luxemburg, nämlich für das Vorsorgeprinzip. Man solle nichts erlauben, was ein unklares Risiko beinhalte, so die Argumentation.
Heisst das für uns Konsumentinnen und Konsumenten: Es muss in Zukunft weiterhin jeder genetisch veränderte Organismus, jede Pflanze, jedes Tier sauber deklariert werden?
Wenn Sie sagen genetisch verändert, dann nein. Denn es gibt Züchtungsmethoden, die schon seit Jahren angewendet werden. Sie arbeiten mit Mutationen, welche durch radioaktive Strahlung oder chemische Stoffe gemacht werden. Da wird das Genom auch verändert. Diese fallen nicht unter das Gentechnikgesetz.
Die neuen Methoden bleiben vorderhand im Labor.
Doch alles, was mit gentechnischen Methoden verändert wird, also auch mit den neuen Methoden, muss deklariert werden. Das war bereits so und wird auf die neuen Methoden ausgedehnt. Eine Deklaration bedeutet zurzeit, dass ein Produkt praktisch unverkäuflich ist, denn die Konsumenten wollen das nicht.
Welche Folgen hat der Entscheid für die Pflanzenzüchter?
Das wird vermutlich bedeuten, dass die neuen Methoden vorderhand im Labor bleiben. Es wird weiterhin konventionell gezüchtet, mit der sogenannten klassischen Mutagenese, die ich eben erwähnt habe.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.