SRF: Wie wollen Sie als Universität in Europa den technologischen Vorsprung aufholen zu den amerikanischen Superstars?
Lino Guzzella: Es gibt das Bild von der zweiten Halbzeit, die jetzt gespielt werden wird. Ich bin kein Prophet – aber die zweite Halbzeit könnte sich in Richtung Cyber Physical Systems entwickeln. Also die Verbindung der realen mit der Cyber-Welt, die Kombination zwischen Software und Hardware. Da hat Europa, aber speziell auch die Schweiz einen Vorteil. Wir haben hier zum Beispiel die ABB. Wir arbeiten sehr daran, diese Chance zu Nutzen.
Die Wissenschaft ist von Daten und Rechnerkapazität abhängig – aber davon haben nun mal die Tech-Giganten viel viel mehr.
Das stimmt. Und darum ist die Antwort darauf: Wir müssen mit den Tech-Giganten zusammenarbeiten – auf die richtige Art und Weise –, und für beide das Beste herausholen.
Mittlerweile sind die Tech-Giganten ja zu einer grossen Konkurrenz für Sie herangewachsen. Die werben Ihnen als Talentschmiede ja die besten Leute ab.
Grundsätzlich ist das ja schön, dass wir etwas produzieren. Studierende – Talente – die abgeworben werden. Wir machen etwas richtig. Wenn unsere Leute nicht gebraucht würden, würde etwas falsch laufen.
Aber ja, man muss aufpassen, dass man das nicht übertreibt. So wie früher in der Finanzbranche, in den 2000er-Jahren, als die Banken alle Ingenieure und Mathematiker abgesaugt haben. Jetzt sind es eben die Software-Giganten.
Wir müssen Partnerschaften schliessen mit diesen Firmen, weil auch sie wissen: Wenn sie uns alle Talente wegnehmen, wenn sie die Gans, die die goldenen Eier legt, schlachten, dann werden sie in zehn Jahren keine goldenen Eier mehr haben.
Ausser, die Tech-Giganten ziehen alle ihre eigenen Universitäten hoch. Google gesponserte Universitäten zum Beispiel und ähnliche Entwicklungen. Wie stehen Sie dem gegenüber?
Kritisch, muss ich Ihnen ehrlich sagen. Es ist eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Hand und der Gesellschaft, unabhängige Universitäten zu haben, die auch neben den unmittelbaren Gleisen denken. Ich bin überzeugt, die ganz grossen Firmen sind sich dessen bewusst und sehen auch die Notwendigkeit zu unabhängiger Forschung, die wirklich grundlagenorientiert ist.
Diese Privatisierung von Wissen, dass es nicht mehr transparent und öffentlich ist, ist sie schon in Gange?
Es gibt Tendenzen in diese Richtung, und die sind unvermeidlich. Diese Giganten sind Giganten, und wir müssen dagegen halten als Gesellschaft. Ich denke, wir sind nicht schlecht unterwegs.
Wie viel mehr Geld müsste in der Schweiz in die Forschung fliessen?
Da gibt es keine Obergrenze! Insbesondere an die ETH (lacht). Wir haben ein sehr gut ausgebautes Bildungssystem in der Schweiz, das duale System spielt dabei eine wichtige Rolle. Vor allem eine langfristige Planbarkeit in der Finanzierung der Bildungssysteme ist wichtig – nicht nmal hoch und dann wieder runter. Ich denke, unsere Politik versteht das gut.
Das Interview führte Patrizia Laeri.
Das Interview wurde gekürzt und redigiert