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Kunstfaser Perlon: Nazi-Deutschlands Antwort auf Nylon

Heute vor 81 Jahren erfand ein deutscher Chemiker Perlon. Für Strümpfe hat man die Faser erst nach dem Krieg verwendet.

1935 war es einem Chemiker des DuPont-Konzerns in den USA erstmals gelungen, aus gängigen Rohstoffen wie Kohle, Wasser und Luft ein sogenanntes Endlos-Polymer herzustellen. Das unter dem Namen «Nylon» patentierte Material war die erste vollsynthetische Kunstfaser.

Zwei Jahre später studierte der deutsche Chemiker Paul Schlack die Patentschrift von Nylon. Er war Forschungsleiter eines Unternehmens, das zum IG-Farben-Konzern gehörte. Schlack suchte nach Wegen, ein ähnliches Polymer herzustellen – ohne das ursprüngliche Patent zu verletzen.

Nylon in den USA, Perlon in Deutschland

In der Nacht auf den 29. Januar 1938 gelang ihm der Durchbruch mit Caprolactam – einem Molekül, das die DuPont-Forscher untersucht, aber verworfen hatten.

Bei einer konstanten Temperatur von 240 Grad bricht Wasser das ringförmige Caprolactam auf. Aus den Ringen werden Ketten von hunderten Molekülen. Das Material lässt sich in dünne, aber stabile Fäden ziehen und hat praktisch dieselben Eigenschaften wie Nylon. Schlack nannte es «Perlon».

Geheimes «kriegswichtigen Material»

Die Nationalsozialisten patentierten Perlon. Sie hielten die Erfindung aber vorerst geheim.

Unter dem Codenamen «Perluran» wurde die Faser zum «kriegswichtigen Material» erklärt und für Fallschirmbezüge oder Zeltschnüre verwendet. Aber auch Borsten zur Reinigung von Waffen und Fäden zum Nähen von Wunden wurden daraus hergestellt.

Schwarzweiss-Bild eines Falschirmspringers bei der Landung
Legende: Wegen ihrer Reissfestigkeit wurden die Kunstfasern Nylon und Perlon unter anderem für Fallschirme verwendet. Getty Images

Anders in den USA: Am 15. Mai 1940, dem sogenannten N-Day, stürmten Tausende Frauen die Kaufhäuser, um ein erstes Paar Nylonstrümpfe zu ergattern. Die deutsche Damenwelt musste dagegen bis nach Kriegsende auf Strümpfe aus Perlon warten.

«Dederon» – zu Ehren der DDR

In den 1950er-Jahren symbolisierten Strümpfe und Hemden aus Perlon das deutsche Wirtschaftswunder. Um die Konkurrenz aus dem Osten loszuwerden, liessen bundesdeutsche Hersteller die Marke Perlon 1952 schützen.

Schwarzweiss-Bild mit drei jungen Damen in blumigen Minikleidern
Legende: Perlon in der BRD, Dederon in der DDR: Models in Minikleidern aus Dederon in den 1970er-Jahren in Leipzig. imago / Ulrich Hässler

In der DDR nannte man das Produkt fortan «Dederon» – als Huldigung an den Arbeiter- und Bauernstaat. Ostdeutsche Ingenieure entwickelten sogar künstliche Blutgefässe aus Dederon für den Einsatz in der Herzchirurgie.

Dem Deodorant zum Durchbruch verholfen

Gemeinsam war der Kunstfaser in Ost und West jedoch eine unangenehme Eigenschaft: Weil sie kaum Luft an die Haut liess, schwitzte und roch man darin schnell. Kein Wunder, dass auch das Deo zu dieser Zeit seinen Siegeszug begann.

Als Ende der 1970er-Jahre neue, atmungsaktivere Kunstfasern auf den Markt kamen, war der Boom für Perlon und Dederon in der Bekleidungsindustrie weitgehend vorbei.

In Teppichen, Autos und Flugzeugen

Verschwunden ist Schlacks Erfindung aber nicht: Die weltweite Chemieindustrie produziert jedes Jahr noch immer etwa vier Millionen Tonnen Perlon – oder Polycaprolactam, wie die chemisch korrekte Bezeichnung lautet.

Das Material ist widerstandsfähig und leicht zu färben. Deshalb stellt man daraus etwa Spannteppiche her. Weil es sehr leicht ist, wird es auch in der Auto- und Flugzeugindustrie verwendet.

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