Mitte der 80er-Jahre im englischen Dorf Enderby: Die 15-jährige Dawn Ashworth wird vergewaltigt und erwürgt. Die Polizei sichert Spermaspuren an ihrer Leiche und nimmt daraufhin von jedem Mann im Dorf eine Blut- und Speichelprobe, um seinen genetischen Fingerabdruck zu erstellen. Es ist der erste Massen-DNA-Test der Geschichte. Doch gefunden wird der Täter nicht – zumindest vorläufig.
Denn der Mörder hatte einen Bekannten zum DNA-Test geschickt und der ist dumm genug, in den Pubs der Region damit zu prahlen, dass der Betrug funktioniert hat. So wird der Täter schlussendlich doch noch überführt. Der Fall in England war der erste weltweit, der dank dem genetischen Fingerabdruck gelöst werden konnte.
«Das war revolutionär»
Walter Bär, emeritierte Professor für Rechtsmedizin der Universität Zürich, hat von Anfang an mit dem genetischen Fingerabdruck gearbeitet. Er war vor 30 Jahren Leiter des Schweizer Labors, welches genetische Fingerabdrücke hergestellt hat: «Das ist revolutionär gewesen», erinnert er sich heute, «eine so gewichtige Erfindung habe ich in meinem Arbeitsleben nie mehr miterlebt.»
Der genetische Fingerabdruck ist individuell. Ausser eineiigen Zwillingen hat jeder Mensch einen eigenen. Finden lässt sich das Muster im Erbgut unserer Zellkerne. Dafür brauchen Rechtsmediziner Proben von Körperflüssigkeiten oder menschlichem Gewebe – Blut, Urin, Speichel, ein Haar oder Hautschuppen.
Als der Engländer Alec Jeffreys im Herbst 1984 den genetischen Fingerabdruck gefunden hat, brauchte man dafür noch mehrere Tropfen Blut und es dauerte drei Wochen, um das typische Muster unseres Erbguts zu erstellen. Heute reichen bereits für unser Auge unsichtbare Spuren von Gewebe oder Flüssigkeit, und das Expressverfahren liefert in drei Stunden ein Resultat.
Neue Chancen für die Forensik
«Dieser Fortschritt hat auch die Arbeit an einem Tatort grundlegend verändert», sagt Rechtsmediziner Walter Bär. «Um unsichtbare Hautpartikel zu finden, müssen Kriminologen denken wie die Täter. Sie müssen erahnen, wo die Täter hingefasst haben könnten und dann blind Abstriche machen.»
Aus unserem genetischen Fingerabdruck könnte man theoretisch sehr viel herauslesen: Haarfarbe, Augenfarbe oder Hautfarbe, um nur drei Beispiele zu nennen. Dies wird – zumindest in der Schweiz – jedoch nicht erlaubt. Per Gesetz ist es nur erlaubt, das Geschlecht des Probegebers zu bestimmen. Krankheitsdispositionen etwa gehen niemanden etwas an.
Gut möglich jedoch, dass das Gesetz in Zukunft verändert wird. Rechtsmediziner wie Walter Bär würden es begrüssen, wenn man äusserliche Merkmale wie Grösse oder Augenfarbe bestimmen dürfte. Dann könnte es einst möglich sein, das Phantombild eines Täters anhand einer winzigen Spur zu erstellen, die er am Tatort hinterlassen hat.