Risse in Gesteinen, Abbrüche, Erdrutsche: Erdbeben hinterlassen mehr oder weniger deutliche Spuren. An Land sind sie nach Tausenden von Jahren aber häufig nur noch schlecht oder gar nicht mehr zu sehen: Die natürliche Erosion durch Wind und Wetter schleift die Spuren über Jahrtausende immer mehr ab, bis zur Unkenntlichkeit.
Anders unter Wasser: Da gibt es keinen Wind, kein Wetter und das Wasser ist in Seen meist nur sehr träge in Bewegung – beste Voraussetzungen, um Erdrutsche und Verwerfungen noch nach Jahrtausenden aufzufinden. Doch dazu sind spezielle Geräte nötig, die erst seit kurzem in Seen überhaupt eingesetzt werden.
Ultraschall auf den Seegrund
Auf grossen Meeresschiffen ist das Fächerecholot schon seit den 1970er-Jahren im Einsatz. Doch weil solche Geräte heute weitaus kleiner sind, lassen sie sich nun auch auf Binnenseen verwenden, ohne dass ein riesiges Trägerschiff notwendig ist. Die Technologie ist eine Weiterentwicklung des simplen Echolots und liefert ein dreidimensionales Abbild des Untergrundes: Ultraschall-Töne werden ausgesendet und Detektoren zeichnen das vom Boden zurückgeworfene Echo auf.
Ein modernes Fächerecholot sendet aber nicht nur einen Ton, sondern einen ganzen «Fächer» von Tönen ins Wasser hinab. Mit einem Öffnungswinkel von bis zu 150 Grad wird jeweils ein Streifen von 400 Meter Breite des Seebodens vermessen. Der Computermonitor auf dem Forschungsschiff zeigt die Resultate gleich in Echtzeit an – mit einer Auflösung bis in den Millimeterbereich. Mit erstaunlichem Detailreichtum werden so ganze Unterwasserlandschaften mit Tälern und Erhebungen sichtbar.
Vermessung der Schweizer Seen
Nun auch im Bodensee: Sein Untergrund wird bis Ende Juli 2013 drei Monate lang vermessen. Mit dem deutschen Forschungsschiff «Kormoran» des Instituts für Seenforschung in Langenargen am Bodensee und einem Fächerecholot aus der Schweiz. Flavio Anselmetti, Professor für Geologie an der Universität Bern, ist an dem Projekt beteiligt und steuert auch das Echolot bei. Er ist sehr gespannt auf die Resultate, haben doch Messungen in anderen Seen in der Schweiz schon interessante Ergebnisse geliefert.
Unterwasser-Rutschungen im Neuenburger- und Vierwaldstättersee zeugen von Erdbeben, die vor Tausenden von Jahren stattfanden. «Die Hänge gleiten bei stärkeren Erdbeben ab wie Schneelawinen und sammeln sich am Seegrund», erzählt Anselmetti, «wir können sie mit dem Fächerecholot finden und dann gezielt Proben nehmen». Im Labor analysieren die Geologen diese Proben dann und finden heraus, wann das Erdbeben stattgefunden haben muss.
Der Untergrund als Erdbebenarchiv
«Die Schweizer Seen werden so zu prähistorischen Seismografen», so Anselmetti. Besonders interessant ist es, Seen zu vergleichen, die nahe beieinander liegen. So lässt sich nicht nur der Zeitpunkt eines Erdbebens bestimmen, sondern auch das Epizentrum, also der Ort, wo es am stärksten war. Zeigen sich Spuren eines Bebens nämlich in zwei Seen gleichzeitig, muss das Epizentrum irgendwo in der Nähe liegen, da es damals beide Gewässer erschüttert hat.
In der Schweiz ist alle 1000 bis 2000 Jahre mit einem starken Erdbeben zu rechnen. Stark bedeutet: grösser als 6 auf der Richterskala, was zu Zerstörungen in einem Umkreis von bis zu 70 Kilometern führen kann. Zurzeit sind das Wallis und Basel diejenigen Gebiete, die rein statistisch am meisten gefährdet sind.
Eine aktive Erdbebenfalte?
Im Neuenburgersee entdeckte eine Forschungsgruppe der ETH Zürich im April 2012 mit dem Fächerecholot eine Störungszone im Seeboden. Es handelt sich dabei vermutlich um die Fortsetzung einer Bruchlinie, die auch an Land sichtbar ist, die sogenannte «La Lance»-Verwerfung. Im Neuenburgersee sind von dieser Störungszone Unterwasser-Rutschungen und Gräben sichtbar – und Stufen, ähnlich wie bei einer Treppe. Sie entstehen, wenn sich die Gesteine gegeneinander verschieben.
Besonders spannend war für Anselmetti aber eine unerwartete Entdeckung: «Wir haben daneben Entgasungstrichter gefunden, sie könnten darauf hinweisen, dass die Störung noch aktiv ist.» Forscher der ETH Zürich analysieren nun das Gas, das aus den Trichtern am Seegrund entweicht.
Wenn es sich um Gas handelt, das aus der Tiefe der Erde aufsteigt, würde das auf eine Bruchzone hindeuten, die noch aktiv ist. Dies könnte allenfalls Hinweise liefern, dass das Erdbebenrisiko in der Region neu abgeschätzt werden müsste. Die aktuelle Erforschung der Seeböden könnte so dazu beitragen, dass die Gefahrenkarte in der Schweiz noch exakter gezeichnet werden kann.