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Zwei Autos rasen frontal ineinander.
Legende: «Die Zehntelsekunde, in der Geschwindigkeit abgebaut und die Energie in Deformationsarbeit umgewandet wird», fasziniert Bernhard Gerster. Reuters

Technik «Der Mensch verhält sich anders als ein Dummy»

Ihn hätten wir uns zum Physiklehrer gewünscht, resümieren wir, als wir den Fahrzeugmechanik- und Sicherheitsexperten Bernhard Gerster zum Gespräch treffen. Der Professor liebt Physik – und das Autofahren. Seit über 20 Jahren entwickelt er Crashtests und tüftelt an der Sicherheit unserer Autos.

«Einstein»: Herr Gerster, welches ist der eindrücklichste Crashtest, den sie erlebt haben?

Nicht unerwartet, aber wirklich eindrücklich war, als ich gesehen habe, wie bei einem Crashtest ein Zehn-Tonnen-Lastwagen auf eine Kolonne von fünf Personenwagen prallte; eine potenzielle Alltagssituation. Der LKW-Chauffeur passt nicht auf, rast in die Autos rein und die werden komplett zusammengedrückt. Dieses Beispiel zeige ich immer den Studenten und Besuchern bei Führungen im Testcenter, weil die Wirkung der Kräfte bei einem solchen Aufprall enorm ist – das sieht aus wie nach dem Krieg.

Zur Person

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Bernhard Gerster ist Professor an der Berner Fachhochschule für Technik und Informatik und Dozent für Fahrzeugmechanik und -sicherheit. Daneben ist er Geschäftsführer des Dynamic Test Center bei Biel. Was einen guten Forscher ausmacht und worauf er stolz ist, erzählt er in unserer Rubrik «11 x ehrlich» .

Machen die Crashtests das Fahren in der Schweiz sicher?

Man kann sagen, dass wir in der Schweiz, und generell in Europa, einen sehr hohen Standard punkto Sicherheitstests haben. Wir decken mit den Tests 95 Prozent der Unfälle ab, die in der Schweiz passieren. Wir wissen also viel darüber, wie man die Folgen von Unfällen vermindern kann – aber vielleicht haben wir es in der Schweiz verpasst, mehr für die Unfallverhütung zu tun.

Weltweit gibt es über 30 verschiedene Crashtests für Autos – welche Länder schneiden im internationalen Vergleich besser ab, welche geradezu fahrlässig?

Der Sicherheitsstandard beim Auto hängt mit dem Lebensstandard zusammen. Je niedriger dieser in einem Land ist, desto schwieriger ist die Sicherheitslage im Verkehr. In Schwellenländern, wo sich allmählich ein Grossteil der Bevölkerung ein Fahrzeug leisten kann, fragt anfangs niemand, wie viele Verkehrsopfer es gibt. Zuerst will man motorisiert, dann sicher sein. In den USA hingegen, wo es gleich mehrere Autos pro Haushalt gibt, stehen die Autohersteller einer Unmenge von Klagen gegenüber. In den USA kann ich als Konsument sagen «das Auto hat mich verletzt» und der Hersteller muss beweisen, dass das nicht möglich ist. Die Folge ist, dass die Sicherheitstest unter grossem Druck durchgeführt werden. Das haben wir hierzulande nicht. Wenn man in der Schweiz erfüllt, was die Norm verlangt, hat der Hersteller bewiesen, dass er auf dem Stand der Technik ist.

Kann man Unfälle beziehungsweise deren Hergang zu 100 Prozent simulieren?

Nein. Es gibt auch Unfälle, bei denen man sagen muss, da gibt es keine Überlebenschance. Alles, was die Fahrzeugbewegung betrifft, können wir gut darstellen und nachvollziehen. Was uns Mühe bereitet, ist die Abschätzung der Folgen. Wir arbeiten mit Dummys. Die Puppen sind menschenähnlich, aber eben nur ähnlich. Ein Mensch verhält sich anders im Unfall; er ist anfällig für gewisse Verletzungen, hat Schwachstellen, die bei Belastungen brechen oder reissen. Der Dummy hingegen besteht aus reissfesten Schrauben und ist «qualitativ» absehbar.

Wieso braucht es immer noch physische Crashtests – kann man das heute nicht digital simulieren?

Man braucht und macht beides. In der Entwicklung arbeiten wir mit Computermodellen, die Unfälle simulieren; deshalb dauern die Autobauphasen heute viel weniger lang. Früher baute man an einem Auto acht Jahre, irgendwann vier und heute dauert es circa zwei Jahre, bis es auf die Strasse kommt. Dass Crashtests irgendwann nur noch digital stattfinden, glaube ich im Moment nicht. Man darf nicht überall vereinfachen; zur Absicherung des Simulationsmodelles braucht es Realversuche.

Wenn sie massig Geld hätten für die Forschung und für Tests – wo würden sie investieren?

Das hochautomatisierte oder autonome Fahren ist aus Forschungssicht sehr interessant, dort gibt es einige offene Fragen. Allerdings bin ich mir als Autofahrer nicht sicher, ob es das höchste aller Gefühle ist, wenn ich zuerst zuhause mit dem Smartphone ein Zeitfenster reservieren muss, bevor ich auf die Autobahn einfahren kann, automatisch.

Wird das Autofahren mit der fortschreitenden Automatisierung sicherer? Oder unkontrollierbarer?

Ich denke, dass es sicherer wird. Weil der Mensch gar nicht in der Lage ist, so lange aufmerksam zu sein, wie er fährt. Die Ablenkung ist gross. Alle drei bis vier Stunden sollte man eine Pause einlegen. Aber nur schon während drei Stunden zu 100 Prozent aufmerksam zu sein, ist fast nicht möglich. Ein elektronisches System hingegen hat eine Aufmerksamkeitsspanne von 24 Stunden.

Fährt man vorsichtiger Auto, wenn man täglich Crashtests sieht?

Das würde ich so nicht unterschreiben. Ich habe mich daran gewöhnt, bin aber sicher nicht abgestumpft. Ich denke nicht, dass ich unverletzlich bin. Aber ich fahre, wie mich die Agenda drückt, und weniger was für Tests und Filme ich vorher gesehen habe.

Was wünschen Sie sich als Sicherheits-Tüftler von den AutofahrerInnen?

Bitte brauchen Sie, was an Sicherheit im Auto vorhanden ist! Früher gab es im Kanton Bern eine interessante Unfallstatistik. Sie zeigte: Innerorts wurde, während der Laufzeit der Statistik, nie ein Mensch getötet, der angegurtet war. Trotzdem gurten sich etwa 20 Prozent noch immer nicht an. Es ist schon verrückt zu sehen, was wir entwickeln – und es wird nicht genutzt. Auch die Ladung hinten spielt eine grosse Rolle bei Unfällen, das vergessen viele. Die Gefahr fängt immer ganz hinten im Auto an.

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