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Frontaufnahme der liegenden Geige.
Legende: Experimentelles Instrument: Aus Daten, die Sensoren an dieser Geige messen, bilden Forscher ab, wie der Musiker sein Instrument behandelt. Tobias Grosshauser, ETH Zürich

Technik Die verkabelte Geige

In einem Forschungsprojekt an der ETH Zürich werden klassische Instrumente mit Sensoren ausgestattet. Sie machen beim Spielen sichtbar, was sonst verborgen bleibt: unnötig hoher Fingerdruck auf Saiten zum Beispiel. So könnten Fehlhaltungen bei Musikschülern künftig noch gezielter vermieden werden.

Die Geige im Labor von Tobias Grosshauser sieht nicht aus wie eine, die demnächst an einem klassischen Konzert gespielt werden wird. Zahlreiche Kabel führen nämlich von ihr weg, von den Sensoren auf dem Instrument zu einem Funksender, der die gemessenen Daten weiter auf einen Computer überträgt.

Wenn der ausgebildete Musiker Tobias Grosshauser auf dieser Geige spielt, kann er exakt messen, wie stark seine Finger auf die Saiten drücken – oder auch, wie stark er die Geige an sein Kinn presst.

Drucksensoren, aber auch Bewegungssensoren wie sie in Smartphones eingebaut sind, erzeugen zahlreiche Messwerte und zeigen grafisch an, wie die Geige gespielt und gehalten wird.

Geige mit Druck-und Positionssensoren und der Geigenbogen mit Positionssensoren. Der Computer zeigt die Werte grafisch.
Legende: Das gesamte Testsystem: Geige mit Druck- und Positionssensoren und der Geigenbogen mit Positionssensoren. Der Computer zeigt die Werte grafisch. Tobias Grosshauser, ETH Zürich

Derzeit noch Grundlagenforschung

Die Interpretation all dieser Linien und Kurven auf dem Computerbildschirm ist nicht ganz einfach. «Es ist grundsätzlich ein experimenteller Ansatz. Was man dann alles damit machen kann, ist noch nicht absehbar», erklärt Studienleiter Grosshauser, Oberassistent am WearLab , das zum Institut für Elektronik an der ETH Zürich gehört.

Das Feld ist also noch weit offen. Aber Grosshauser sieht aber schon konkrete Anwendungen am Horizont. Schüler und Musikstudenten, also die Profi-Musikerinnen und -musiker von morgen, könnten mit dieser Technologie unter Umständen vor ernsten Haltungsschäden bewahrt werden. «Die Einstellung der Kinnstütze und Schulterstütze, das ist ein Prozess, der kann sich über Jahre hinziehen. Gerade wenn der Schüler noch im Wachstum ist», erzählt der Forscher.

Die Kräfte am Körper analysieren

Man könne mit seinen Sensoren und dem Computer sehr schön sehen, wie viel Kraft zwischen Kinn und Schulter aufgewendet wird, so Grosshauser weiter – aber auch, wie sie verteilt ist. Ein mit dem Programm vertrauter Musiklehrer könnte damit ein Werkzeug bekommen, um gezielter zu intervenieren, wenn seine Schüler die Geige falsch halten.

Die Forschung wird von Profis sehr begrüsst. Sie sehe jetzt zwar keinen direkten Nutzen für sich, sagt die Geigerin Julia Becker, Erste Konzertmeisterin des Tonhalle-Orchesters in Zürich. Für sie sei es natürlich zu spät, sie könne nach fast 40 Jahren Spielpraxis kaum mehr umdenken für eine andere Haltung. Doch Haltungsschäden seien schon ein grosses Problem in ihrer Branche, insbesondere bei Streichern. Somit könnte so ein System für Kinder und eine kommende Generation von Profis eine grosse Hilfe sein.

Klang-Experimente für die Zukunft?

Weitere Anwendungen sind aber auch in der Musik selbst denkbar. Tobias Grosshauser beschäftigt sich schon seit Jahren mit dieser Technologie, weil er auch stark an der Erweiterung der Spielmöglichkeiten eines Instruments interessiert ist. Der Ansatz der Experimentalmusik, mit einer Geige mit Sensoren zum Beispiel auch einen Synthesizer anzusteuern, fasziniert ihn jedenfalls schon seit langem.

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