Dreieinhalb Jahre ist es her, da lag Europa unter einer Wolke aus feinster Vulkanasche. 40 Tage lang spuckte der Eyjafjallajökull auf Island Material in die Luft und zwang so die Flugzeuge, am Boden zu bleiben. Das Grounding führte zu einem riesigen Chaos im Luftverkehr und kostete Milliarden von Franken. Wie könnte man eine solche Situation in Zukunft verhindern? Darüber haben diese Woche in Genf Vertreter von Forschung, Behörden und Industrie diskutiert. Für Gesprächsstoff sorgte unter anderem eine neuartige Kamera, die die Piloten vor Asche warnen soll.
Sechs Minuten Zeit zum Ausweichen
Der Vater dieser Technik ist Fred Prata vom norwegischen Luftforschungszentrum NILU. Er tüftelt schon lange an diesem Gerät, mit dem Piloten Vulkanasche-Wolken vor ihrem Flugzeug erkennen können, im besten Fall schon auf 100 Kilometer Entfernung. So bleiben etwa sechs Minuten Zeit, der Asche auszuweichen.
Vor kurzem hat Pratas Firma «Nicarnica Aviation» eine solche Kamera erfolgreich getestet. Sie arbeitet nicht im sichtbaren Licht, sondern im Infrarot-Licht. So kann man Vulkanasche auch bei Nacht gut erkennen, ab einer Konzentration von etwa 1 Milligramm pro Kubikmeter.
Nächstes Jahr plant Easy Jet, die Technik mit dem Namen «Avoid» probehalber in zwei Flugzeuge einzubauen. Gemeinsam mit Airbus wollen Easy Jet und Fred Prata die Kamera aber auch für verschiedene Flugzeugtypen voll zertifizieren lassen, dann wäre sie im regulären Flugbetrieb einsetzbar. Das kann viele Jahre dauern.
Immerhin ist die Internationale Behörde für Zivilluftfahrt (ICAO) von der Technik grundsätzlich angetan. Ihr Vertreter Greg Brock hat aber auch Bedenken. Er findet es problematisch, wenn gewisse Flugzeuge mit der neuen Kamera ausgerüstet sind und andere nicht. Das könnte zu einem wilden Durcheinander führen und schlimmstenfalls zu Zusammenstössen.
Diese Kritik lässt Fred Prata nicht gelten. «Meiner Erfahrung nach ist der Himmel nie ganz voll mit Vulkanasche», sagt er. «Es gibt immer sichere Korridore.» Darum würden die Flugzeuge nicht einfach irgendwie chaotisch ausweichen.
Heutiger Grenzwert braucht Datengrundlage
Die neue Asche-Kamera allein reicht aber sicher nicht, um das Vulkanasche-Problem zu lösen. Das sieht auch Fred Prata so. Dringend nötig sind zum Beispiel Turbinentests, denn noch immer weiss niemand, wie viel Asche die Flugzeuge eigentlich vertragen. Klar ist, dass Vulkanasche die Turbine verkleben kann, sie kann auch die Kompressoren zerstören oder die Treibstoffzufuhr blockieren. Aber man weiss nicht, ab welcher Asche-Konzentration das geschieht.
Im Moment gilt in Europa ein Grenzwert von 4 Milligramm pro Kubikmeter, ab dem alle Flugzeuge am Boden bleiben müssen. Doch dieser Grenzwert hat keine echte Datengrundlage. Das heisst, er könnte zu hoch sein oder zu tief. Eigentlich sollte die Industrie mit Tests herausfinden, was wirklich Sache ist. Aber das tut sie nicht schnell genug, so lautete jedenfalls der Tenor an der Tagung in Genf.
Die Industrie scheut den Aufwand, denn die Tests sind teuer. Man muss Vulkanasche in funktionstüchtige Turbinen hinein blasen und dann die Folgen genau dokumentieren. Sowohl die von dichten Aschewolken, als auch jene von dünnen Wolken, durch die ein Flugzeug immer wieder fliegt. Diese dünnen Schwaden sieht man zwar nicht von Auge, aber sie können ein Flugzeug nach und nach doch flugunfähig machen. 2015 sollen nun die ersten solchen Tests stattfinden. Bis hier Klarheit herrscht, dauert es also noch.
Komplizierte Modellierung
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Auch bei der Vorhersage von Aschewolken herrscht noch Unsicherheiten. Noch gibt es keine detaillierten dreidimensionalen Modelle dazu, wie sich die Asche eines Vulkans in der Atmosphäre verteilt. Genau das bräuchte es aber für ein gutes Vorwarnsystem.
Die Vulkanasche sei eben ein kompliziertes Problem, sagt Marianne Guffanti vom Geological Survey der USA (USGS). «Vulkanausbrüche sind nie Routine.» Besonders schwierig sei es, die Quelle gut zu erfassen, also wie viel Asche der Vulkan überhaupt in die Luft befördert, in welche Höhe die Asche fliegt und woraus sie genau besteht, sagt Costanza Bonadonna von der Universität Genf. Sie hat das Treffen in Genf organisiert und Personen aus ganz verschiedenen Fachgebieten an einen Tisch gebracht: Vulkanologen, Meteorologen und Chemiker aber auch Vertreter von Warnzentren, Behörden und Industrie.
Seit dem Ausbruch des Eyjafjallajökull funktioniere die Zusammenarbeit zwischen all diesen Fachbereichen deutlich besser als zuvor, sagt Guffanti vom USGS. Jeder weiss, wen er im Notfall anrufen muss. Wenn der nächste isländische Vulkan seine Asche nach Europa pustet, sollte es also nicht mehr ein ganz so grosses Chaos geben wie 2010.