Im Windkanal des deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) steht ein schwarzes Modellauto, dessen Original Geschichte schrieb. Forscher wollen herausfinden was das «Göttinger Ei» so windschlüpfrig machte. Grünes Laserlicht lässt die Stromlinien sichtbar werden.
Pioniere der Lüfte wurden Autobauer
Dass sich Forscher für Luft- Und Raumfahrt für die Aerodynamik eines Oldtimers interessieren, hat historische Gründe. Die heutige DLR ist aus der Aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen (AVA) herausgewachsen und an der AVA wurde 1939 auch das «Göttinger Ei» im Windkanal getestet. Das aerodynamische Know-How kam aus dem Flugzeugbau, das eigentliche Kerngeschäft der AVA. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde den Deutschen der Flugzeugbau jedoch verboten. Viele Pioniere der Lüfte wanderten in den Fahrzeugbau ab.
So auch Karl Schlör (1911-1997), der Vater des «Göttinger Eis». Das Design des Autos entwickelte er basiernd auf systematischen Untersuchungen von Flugzeugtragflächenprofilen, die im Göttinger Windkanal entwickelt wurden. Ingenieur Schlör wählte für die Grundform seines Autos Profile mit besonders geringem Luftwiderstand.
Dank Tropfenform 30 km/h schneller
Das windschlüpfrige Design des Schlörwagens zahlte sich aus: Bei Testfahrten 1939 war er bis zu 30 Kilometer pro Stunde schneller als ein Serienfahrzeug mit gleicher Leistung. Trotz seiner bestechenden Aerodynamik war der Wagen eigentlich als Familienauto konzipiert. Doch in die Serie schaffte er es nie. «Das Auto war wahrscheinlich schwierig zu fahren, weil es anfällig auf Seitenwind war», mutmasst Daniel Geissmann, Oldtimer-Experte vom Verkehrshaus Luzern.
Das Göttinger Ei teilt damit das gleiche Schicksal wie viele andere Stromlinienautos ihrer Zeit. «Diese futuristischen Formen fanden keine Akzeptanz», erläutert der Oldtimer-Experte und weist auf ein grundlegendes Manko hin. «Stromlinienform und Nutzbarkeit sind schlecht vereinbar. Die Autos hatten zum Beispiel wenig Platz für Gepäck».
Sensationeller Luftwiderstandswert
Die heutigen Messung im DLR-Windkanal ergaben einen Luftwiderstandswert (Cw) von 0,186. Das ist ein sensationell niedriger Wert, der vergleichbar ist mit dem heutigen 1-liter-Versuchsauto von VW. «Die Strömung schmiegt sich eng an das Modell. Es kommt zu keinerlei Strömungsabrissen und Verwirbelungen», erläutert der Strömungsforscher Siegfried Loose vom DLR.
Zum Vergleich testeten die Wissenschaftler noch einen herkömmlichen Personenwagen im Windkanal. Sie sehen sofort, dass die Stromlinien dem Heck nicht folgen können. Es entstehen Wirbel, die das Fahrzeug bremsen (siehe Video oben).
Das «Göttinger Ei» war also nicht nur damals ein Wunder der Windschlüpfigkeit, es wäre es auch heute. Live testen kann man es leider nicht mehr: Das aerodynamische Wunderauto ist seit Kriegsende verschollen. Ob die Alliierten den Wagen beschlagnahmt haben, oder ob er auf einem Schrottplatz landete bleibt ein Geheimnis.