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Technik «Wenn man so ein Aschebuch sieht, will man es auch retten»

2200 historische Bücher aus der «Helvetica»-Sammlung waren nach dem Grossbrand in der «Herzogin Anna Amalia Bibliothek» in Weimar teils schwer beschädigt. In der Schweiz organisierten Private ab 2008 Spenden und Restaurierung – Bilanz einer schwierigen Rettungsaktion.

Es war wohl ein angeschmortes Elektrokabel, dass die «Herzogin Anna Amalia Bibliothek» in Weimar für Jahre in die Schlagzeilen brachte. Nach dem Brand am 2. September 2004 waren rund 50‘000 literarische Werke der weltweit angesehen Sammlung – Weltkulturerbe der Unesco – verloren und 62‘000 Bände durch Löschwasser, Rauch, Hitze oder Flammen teils stark beschädigt. Darunter auch viele Werke aus der Schweiz, die seinerzeit von grossen Literaten gelesen und diskutiert wurden.

«In manchen Büchern sind Randnotizen von Goethe oder Schiller zu finden», sagt Rainer Diederichs, Buchliebhaber, Präsident der Gottfried-Keller-Gesellschaft, einst Pressesprecher der Zürcher Zentralbibliothek. Gebürtig aus Jena nahe Weimar hat sich der pensionierte Experte mit dem Förderverein Pro Helvetica darum gekümmert, «rund 2200 Schweizer Buchpatienten» aus dem Brand zu versorgen. So gut es eben geht.

Und so günstig es eben geht, denn das Geld für die private Initiative war von Anfang an knapp. Also beriet Diederichs als versierter Öffentlichkeitsarbeiter seine Mitstreiter bei Bittbriefen an Stiftungen und wohlhabende Private mit einem Faible für Kultur. Zum Beispiel mit dem Hinweis, dass es nützlicher ist, eine Erfolgsgeschichte zu erzählen als Probleme zu betonen. «Wissen Sie», sagt er, «Klagen öffnen keine Kassen.»

Klinkenputzen für grossherzige Spenden

Seit 2008 hat der Verein auf diese Weise 2,4 Millionen Franken gesammelt. «Eine erfreuliche Zahl!», sagt Diederichs – doch noch immer nicht genug. Noch fehlen 450'000 Franken, um weitere 200 «Aschebücher» zu verarzten: jene Kostbarkeiten, die nicht nur durch Löschwasser gelitten haben, sondern direkt in den Flammen waren – zur Unkenntlichkeit verbrannte Notfallpatienten also; armselige, angesengte Papierblöcke ohne Einband.

«Wenn man so ein Aschebuch sieht, will man es auch retten», sagt Diederichs. Also wird der Verein, wenn der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck am 1. April zu Besuch in Bern ist, einen Infostand aufbauen und ein Exemplar präsentieren, um weitere Spender zu überzeugen – in der Hoffnung auf die nötigen Mittel für den Endspurt.

Restaurationen rationell gemacht

Ein harziges Projekt, auch aus Handwerker-Sicht. Drei Schweizer Fachbetriebe waren daran beteiligt, hunderte Leder- und Pergamenteinbände sowie Aschebücher zu restaurieren. Aufwändig und in Handarbeit: behutsame Bestandsaufnahme, Wasserbäder, das «Anfasern» von Löchern mit Zellulose. Und bei verbranntem Material am Ende hauchdünnes Japanpapier um die geschundenen Seiten, bevor ein Konservierungseinband aus alterungsbeständiger Pappe sie umfasst (siehe «Einstein»-Beitrag vom Juni 2009).

Bei über 2000 Bänden wurde die Masse zur Herausforderung. Der Berner Restaurator Michael Rothe konstruierte deshalb in Ittingen eine neue Anlage, die das althergebrachte Verfahren für grosse Kapazitäten nutzbar machte. Eine Kamera scannt die Seiten, Software berechnet die Fläche von Löchern. Sie steuert gleich eine Pumpe an, die Zellulosefasern in eine Wanne pumpt, wo sie sich an die Seite anlagern. Statt 20 Minuten kalkulierte Rothe so mit neun Minuten Arbeitszeit pro Seite – vom Eintreffen bis zum fertigen «Buchblock».

Den Schaden als künftiges Mahnmal

Wie neu wirken sie angesengten Buchblätter freilich nicht. Das Löschwasser, das Feuerwehrmänner in jener Septembernacht verspritzten, hinterliess hässliche Ränder auf den Seiten. Und bei jenen Exemplaren, die nicht angekokelt wurden, wird man diese Spuren auch in Zukunft sehen – auf ausdrückliche Weisung der Bibliothek in Weimar. Erstens sind Spendegelder auch in Deutschland knapp und erzwingen effiziente Arbeit. Und zweitens blickt Restauratoren durchaus nach vorne: Zur künftigen Geschichte dieser Bücher gehöre auch die Weimarer Feuernacht, meint auch Restaurator Rothe, «so wie die Falten einen alten Menschen erst schön machen».

Wenn alles gut geht, werden die Brandopfer 2015 allesamt zurück in ihrer Heimat sein – nicht mit der Post, sondern mit Kunsttransporten, deren Kosten sich Weimar und Zürich teilen. Doch wäre es nicht schön, wenn vielleicht eine Handvoll Werke in der alten Heimat blieben? Kategorisch: Nein, sagt Buchretter Rainer Diederichs. Abgesehen davon, dass die Teile zum Unesco-Weltkulturerbe gehören, mache erst ihre Herkunft aus dem damaligen Kulturzentrum Weimar die Werke zu dem, was sie für die Nachwelt sind. «Und ist es nicht auch schön», sagt der deutschstämmige Schweizer verschmitzt, «dass die Schweiz ein geistiges Rütli in Weimar hat?»

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