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Thomas Speck begutachtet eine Blumen-Blüte.
Legende: Inspiration aus der Natur: Thomas Speck und seine Frau, die Biologin Olga Speck, in einem Gewächshaus. Thomas Speck.

Technik Woran die Bioniker sich die Zähne ausbeissen

Hauswände, an denen das Wasser abperlt, hochsensible Feuermelder, schnelle Wundheilung: Viele geniale Erfindungen haben sich Forscher von der Natur abgeschaut. Bionik nennt sich die Wissenschaft, die Natur und Technik vereint. «Einstein» hat mit dem deutschen Bioniker Thomas Speck gesprochen.

«Einstein»: Herr Speck, Sie sind ein renommierter Bioniker, der weit über die Grenzen Deutschlands bekannt ist. Woran forschen Sie und ihr Team gerade?

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Thomas Speck ist Direktor des Botanischen Gartens der Universität Freiburg im Breisgau sowie Professor für Funktionelle Morphologie und Bionik. Ausserdem ist er im Vorstand von verschiedenen Bionik-Kompetenznetzen. Für seine Forschungen wurde Thomas Speck mit mehreren Wissenschaftspreisen ausgezeichnet.

Thomas Speck: Immer an mehreren Projekten gleichzeitig! Zurzeit suchen wird nach Lösungen, um Helme oder Schutzkleidung zu verbessern. Dafür nehmen wir uns ein Beispiel an den dicken Fruchtwänden der Pomelo, einer Art Grapefruit, oder auch der Kokosnuss. Deren Fruchtwände sorgen nämlich dafür, dass die Früchte heil bleiben, auch wenn sie von einem bis zu 15 Meter hohen Baum fallen. Die Fruchtwände haben eine ganz spezielle Struktur und hervorragende stossdämpfende und auch durchstossresistente Eigenschaften. Aber wir erforschen auch gerade Vorbilder aus der Natur, die dazu geeignet wären, um Gebäude und Verankerungen noch erdbebensicherer zu machen.

Sie sind vernetzt mit Bionikern aus aller Welt. Was sind international die wichtigsten Forschungsansätze?

Das Potenzial in der Bionik ist riesig: Pflanzen haben im Verlauf der Evolution eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Wundheilung entwickelt. Risse in Pflanzengeweben werden schnell versiegelt und geheilt. Jede Pflanze hat da so ihre Tricks. Und nun gilt es, die richtige Lösung für ein Produkt zu finden. Durch selbstreparierende Materialien lassen sich die Lebensdauer technischer Produkte signifikant verlängern.

Ein anderer wichtiger Bereich ist die Sensorik. Man versucht, in verschiedenen Bereichen intelligente Sensoren zu entwickeln. Als Vorbild dient hier beispielsweise der Feuerkäfer, der so wärmeempfindliche Sensoren besitzt, dass er einen Brand aus 50 Kilometer Entfernung orten kann.

Welches sind denn ihrer Meinung nach die eindrücklichsten Dinge aus der Natur, die der Mensch bereits umsetzen konnte?

Ganz klar der Klettverschluss, den der Schweizer Ingenieur George de Mestral 1951 entwickelt hat. Er studierte jahrelang die Klettfrüchte, die auf Ausflügen in der Natur in seinen Kleidern und im Fell seines Hundes hängen blieben und nur schwer zu entfernen waren. Aber auch der Lotuseffekt ist faszinierend – also Oberflächen, die sich selbst reinigen. Das haben uns Pflanzen vorgemacht, auf denen Wasser, Keime und Dreck dank ihrer ausgeklügelten Struktur einfach abperlt. Heute ist der Effekt auf vielen Produkten nicht mehr wegzudenken: auf Gläsern zum Beispiel, Fassadenfarben oder Lacken.

Gibt es Vorbilder aus der Natur, an denen sich die Bioniker seit Jahren oder gar Jahrzehnten die Zähne ausbeissen?

Ja, die gibt es. Zum Beispiel die Multifunktionalität der Natur in die Technik zu übertragen. Ein Baum, der 120 Meter hoch ist, ist absolut stabil, passt sich den veränderten Umweltbedingungen an, ist schadenstolerant, selbstreparierend, energetisch unabhängig und hat seinen eigenen Wasserkreislauf – beim Baum ist dies alles eins! Die Bionik ist zwar fähig, Einzellösungen für ein spezifisches Problem zu finden. Trotzdem bleibt es meist eine Einzellösung. Stellen Sie sich aber vor, wir könnten wie der Baum viele Probleme gleichzeitig lösen. Ich fürchte, bis man soweit ist, vergehen noch viele Jahre bis Jahrzehnte.

Wo sehen Sie die Grenzen der Bionik?

Lebewesen sind in der Lage, ihre Eigenschaften autonom zu erhalten: Der Gummibaum heilt sich selbst, Blattoberflächen reinigen sich selbst, der Zahn eines Nagetiers schärft sich selbst. Biologische Materialien sind schadenstolerant und reagieren auf veränderte Bedingungen. Viele dieser Eigenschaften lassen sich nicht so einfach in die Technik übertragen. Auch das Vergrössern oder Verkleinern von Produkten ist nicht ohne weiteres möglich. Aber neben der Umsetzung scheitern viele Ideen auch ganz schlicht an der Finanzierung.

Gibt es denn auch Erfindungen, in denen gar nichts von der Natur steckt?

Das Rad. Aber dies liegt wohl daran, dass es in der Natur keine glatten Strassen gibt. Man stelle sich nur schon eine Talfahrt auf einer eher unebenen Wiese vor, da wäre ein Rad energetisch gesehen ziemlich ungünstig im Vergleich zu den bestehenden Lösungen in der Biologie.

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