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Router mit Kabelsalat.
Legende: Digitalisierung: Die ganze Welt ist vernetzt. Reuters

World Web Forum Das Ende des Nationalstaates

Alles wird zu Daten. Sie lassen sich übers Internet verbreiten. Grenzen verlieren an Bedeutung, der Staat an Einfluss.

Wir können uns ein Leben ohne Nationalstaat kaum vorstellen. Er ist unsere Heimat, er gibt uns ein Bleiberecht und Sicherheit. Der Staat hat die Hoheit über das Geld und sorgt für Gerechtigkeit. Dass das alles keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt ein Blick in seine junge Geschichte: Noch vor 150 Jahren war der Nationalstaat die Ausnahme zwischen Stadtstaaten, Niemandsland und verschiedenen kolonialen Reichen.

World Web Forum 2018

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Alle Vorträge der Speaker, Interviews und Artikel rund ums Event: www.srf.ch/worldwebforum.

Eine treibende Kraft hinter dem Nationalstaat war die industrielle Revolution. Die neuartigen Maschinen haben die Gesellschaft tiefgreifend verändert. Sie hat sich daraufhin neu organisiert. Nun macht die digitale Revolution das Gegenteil: Sie stellt den Nationalstaat in Frage.

Seit 25 Jahren umspannt das Internet die ganze Welt. Das Netz kennt keine nationalstaatlichen Grenzen. Handel findet global und digital statt.

Eine weitere Quelle der Veränderung ist die Blockchain, ebenfalls ein weltumspannendes Netzwerk von Computern. Es ist eine Art Buchhaltung, verteilt auf unzählige Computer rund um die Welt. Die Blockchain kann Aufgaben übernehmen, die bis anhin staatlichen Stellen vorbehalten waren – wie Grundbuchämter, Einwohnerkontrollen oder Banken. Am Blockchain-System kann jeder teilnehmen – niemand kann ausgeschlossen werden. Es hat deshalb das Potenzial, die Machtverhältnisse zu verändern – und die Rolle des Staates.

Im Folgenden fünf Beispiele, wie diese neuen Technologien den Nationen Einfluss streitig machen und den Nationalstaat untergraben.

1. Notenprivileg

Fritz Zurbruegg von der SNB präsentiert die neue 20-Franken Noten.
Legende: Die Festlegung des Zahlungsmittels und der Geldmenge gehört zu den Kernaufgaben des Staates. Reuters

Traditionell ist es Aufgabe des Staates, die legalen Zahlungsmittel zu bestimmen. Der Staat legt auch die Geldmenge seiner Währung fest. Er versucht so, die Entwicklung der Wirtschaft optimal zu steuern.

Digitale Währungen stellen diese Aufgaben in Frage. Heute kann jeder auf der Blockchain eine eigene Währung lancieren. Die Steuerung der Geldmenge übernimmt im Bitcoin-Netzwerk dabei ein Algorithmus: Alle zehn Minuten generieren Computer nach einem genau festgelegten Plan eine bestimmte Anzahl neuer «Münzen».

China hat im letzten Herbst auf diese Herausforderung reagiert und den Handel mit Kryptowährungen verboten, Korea hat vor wenigen Tagen ähnliche Massnahmen angekündigt. So wollen sich die Regierungen einen Einflussbereich zurückerobern, der im klassischen Verständnis zu den zentralen Aufgaben des Staates gehört.

2. Rechtssicherheit

Statue der Justizia unter dem Dach des Bundesgerichtes
Legende: Das Bundesgericht in Lausanne erhält Konkurrenz. Keystone

Für die Wirtschaft eines Landes ist Rechtssicherheit zentral. Kommt es zu einem Streit zwischen zwei Parteien, so nehmen staatliche Richter die Rolle eines Schiedsrichters ein. Sie stellen sicher, dass Verträge zwischen zwei Parteien eingehalten werden.

Diese traditionelle Vorgehensweise bekommt nun Konkurrenz. Gewisse Verträge werden nicht mehr als Text festgehalten, sondern als App programmiert, als sogenannter Smart Contract.

Ausgeführt werden diese Smart Contracts von einem neuartigen Computersystem wie etwa den Rechnern hinter der Ethereum Blockchain, verteilt rund um die Welt.

Wird ein solches Smart Contract Programm auf der Blockchain erst einmal in Betrieb gesetzt, so kann es niemand mehr verändern oder stoppen. Auch den Computer selber kann man nicht mehr ausschalten. Er führt stur aus, was der intelligente Vertrag vorschreibt.

Mit ein paar Zeilen Programmcode kann man so zum Beispiel auf der Blockchain ein Crowdfunding starten: Der Smart Contract überweist alle Spenden an ein Projekt, falls ein zuvor festgelegter Betrag überschritten wird. Falls nicht, schickt er jedem sein Geld zurück.

3. Nationale Sicherheit

Angehoerige der Armee zu Pferd und zu Fuss am Defilee beim Grossanlass "Thun meets Army", am 22.10.16
Legende: Neue Herausforderungen kommen auf die Armee zu. Keystone

Die Sicherung der Landesgrenzen und die Sicherheit im Innern gehören zu den zentralen Aufgaben eines Staates. Die neuen Bedrohungen aus dem Cyberspace stellen für Armee oder Strafverfolgungsbehörde oft eine Überforderung dar.

Zur Abwehr und Analyse eines Angriffes sind sie deshalb auf die Expertise spezialisierter IT-Firmen angewiesen. Der Staat delegiert so eine seiner Kernaufgaben an Unternehmen, manchmal sogar ins Ausland.

Nach dem Terroranschlag im kalifornischen San Bernardino 2015 entsperrte eine israelische Firma das iPhone des Täters. Das FBI war dazu nicht in der Lage.

4. Erhebung von Steuern

Billet-Automat für Kinokarten
Legende: Wer Filme herunterlädt, braucht kein Ticket mehr und bezahlen oft auch keine Steuern. Colourbox

Immer mehr Produkte und Dienstleistungen kann man auch digital aus dem Internet beziehen, Filme und Musik oder den Sprachunterricht per Skype.

Bezahlt wird mit der Kreditkarte. Kleinere Anbieter kümmern sich dabei nicht um die Abrechnung der Mehrwertsteuer. Der Staat verliert die Kontrolle über eine seiner wichtigen Einnahmequellen.

5. Persönlichkeitsschutz

Facebook Logo
Legende: Internationale IT-Konzerne können sich nationalem Recht entziehen. Keystone

Der Staat garantiert mit verschiedenen Gesetzen den Schutz unserer Persönlichkeit. Verbreitet zum Beispiel mein Nachbar Unwahrheiten über mich, kann ich ihn verklagen. Tut er das über Facebook, wird das schwierig. Ein Schweizer Gericht kann zwar ein Urteil fällen, der Staat kann das aber gegenüber dem amerikanischen IT-Konzern kaum durchsetzen.

Ein belgischer Journalist reichte 2015 in der Schweiz Klage ein, weil er von einem hiesigen Facebook-Konto mit antisemitischen Äusserungen beleidigt wurde. Das Bundesgericht entschied, dass die Schweizer Niederlassung von Facebook nicht dazu verpflichtet werden kann, die Identität des Kontoinhabers preiszugeben. Der Staatsanwalt muss dieses Begehren nach Irland weiterziehen. Ein langwieriges Verfahren droht.

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