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Ariadne von Schirach «Glück beginnt damit, sich selbst sein Freund zu sein»

Nicht Besitz oder Status, sondern das Gefühl, ein sinnvolles Leben zu führen: Die deutsche Philosophin und Autorin Ariadne von Schirach hat beschrieben, was uns glücklich macht. Hier verrät sie ihre eigenen Glücksstrategien. Und warum sogar Aufräumen glücklich macht.

Ariadne von Schirach

Autorin und Philosophin

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Ariadne von Schirach ist Philosophin, Dozentin und Autorin. Sie widmet sich in ihren Büchern Aspekten der Liebe und der Lust, der Lebenskunst und eben des Glücks. Ihre letzte Publikation «Glücksversuche» vereint 80 wöchentlich geschriebene Kolumnen zum Thema. Ariadne von Schirach entstammt einer Schriftstellerfamilie: Richard von Schirach ist ihr Vater, Ferdinand von Schirach ihr Cousin, Benedict Wells ihr Bruder.

SRF: Weshalb treibt die Menschen die Suche nach dem Glück unvermindert an?

Ariadne von Schirach: Das Glück berührt die Frage nach dem Menschsein. Was uns glücklich macht, sind nicht Besitz, nicht Status, nicht Erfolg, sondern das Gefühl, ein sinnvolles Leben zu führen.

Was bedeutet das für Sie?

Es hat etwas mit Selbsterkenntnis zu tun und mit Selbsterziehung. Der Sinn ist das Resultat von einem aufrichtigen Verhältnis zu sich selbst und seinem Leben. Und wenn wir das Leben sinnvoll finden, sind wir auch glücklich.

Es gibt bereits unzählige Ratgeber zum Thema Glück. Was hat Sie daran interessiert?

Das Buch «Glücksversuche» versammelt Kolumnen, die ich über anderthalb Jahren geschrieben habe. Jede Woche habe ich mich mit einem Aspekt von Glück beschäftigt. Das hat mich allein schon glücklicher gemacht. Denn das, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken, wächst.

Und was sagt die Philosophie zum Thema Glück?

Glück ist erstrebenswert, weil es schön ist, dass wir hier sind, auf der Welt sind. Das haben wir ganz vergessen. Es gibt das Zitat von Epikur, dem Philosophen: «Das Ziel des Lebens ist eigentlich die Freude.»

Das sind unsere europäischen Wurzeln, was das Glück angeht. Nicht ein billiges oder käufliches Glück – sondern das Glück, sich selbst und seinem Leben gerecht zu werden.

Wir hoffen doch eigentlich insgeheim, das Glück falle uns einfach so zu.

Wir unterscheiden Glück und Zufriedenheit. Glück erscheint uns eher als etwas, das uns zufällt. Eine goldene Zeit, eine wunderbare Begegnung, eine Liebesgeschichte. Wir wollen aber nicht zufrieden werden, sondern glücklich.

Und wie gelingt das?

Die Idee ist, ein zufriedenes Leben zu führen und dadurch das Glück anzulocken. Ein zufriedenes Leben zu führen bedeutet, sich zu kennen, sich anzunehmen. Aber auch, sich zu erziehen. Die Suche nach dem Glück beginnt damit, sich selbst sein Freund zu sein.

Wie legitim ist das überhaupt, in diesen von Klima- und Coronakrise gezeichneten Zeiten?

Glück heisst auch, darüber nachzudenken, wie wir uns selbst, den Anderen und dem Leben gerecht werden. Da liegt genau in dieser Krise die Notwendigkeit zu überlegen, was uns eigentlich glücklich macht.

Verraten Sie es uns.

Am glücklichsten machen den Menschen menschliche Beziehungen, tiefe menschliche Beziehungen. Es kostet nichts ausser Zeit und Liebe – aber kein Geld. 

Ist diese Suche nach dem Glück aber nicht letztlich ein «Erstweltproblem»?

In der Welt, in der wir leben, leben viele Menschen in Lebensumständen, die nicht in ihrer Hand liegen. Was willst du einem Menschen, der in einem Land lebt, wo Krieg herrscht, über Glück erzählen? Oder Frauen in Afghanistan? Oder Menschen, die ausgebeutet werden und keine andere Chance haben? 

Wir leben in einer oberflächlichen Zeit und vergessen, dass wir eigentlich innerliche Wesen sind.
Autor:

Aber alle anderen sind in der Konsequenz selbst für ihr Glück verantwortlich?

Leute wie ich sind in einer privilegierten Position. Ich habe die Zeit, ich habe die Musse, den Raum, darüber nachzudenken, wer ich bin, wer ich sein möchte, wer ich auf gar keinen Fall sein möchte und doch immer wieder werde.

Das ist ein Privileg. Teil davon ist, sich immer daran zu erinnern, dass andere das nicht haben und sich dafür einzusetzen, das zu ändern.

Nun ist Selbstoptimierung schwer im Trend. Worin unterscheidet sich Ihre Idee vom Streben nach dem glücklichen Leben?

Selbstoptimierung ist Arbeit am Äusseren, eine quantifizierbare Arbeit. Lebenskunst ist Arbeit am Inneren. Der Mensch ist innen grösser als aussen. Unser Reichtum ist innerlich.

Aufräumen hält vom negativen Denken ab und macht garantiert glücklich.
Autor:

Wir leben aber in einer materialistischen, oberflächlichen Zeit und vergessen dadurch, dass wir eigentlich innerliche Wesen sind. Dort sind der Sinn und das Glück. 

Buchhinweis

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Ariadne von Schirach: «Glücksversuche – Von der Kunst, mit seiner Seele zu sprechen», Klett-Cotta 2022.

Gibt es überhaupt ein dauerhaftes Glück?

Das Leben gilt es in seiner Ganzheit anzuerkennen. Das besteht nicht nur aus Glück, sondern auch aus Unglück, aus Leid und aus Schmerz. Das Leben ist eine Beziehungserfahrung. Beziehungen sind Ambivalenzerfahrungen.

Es gibt immer Liebe und Nicht-Liebe, Gelingen und Scheitern. Und es gibt immer das, was wir tun und das, was das Leben mit uns macht.

Haben Sie so etwas wie ein Rezept oder Strategien, die zum Glück führen?

Meine fünf besten Glücksstrategien sind: Dankbarkeit, Aufmerksamkeit für den Moment, Genügsamkeit, etwas für andere tun und … Aufräumen. (Lacht) Das hält vom negativen Denken ab und macht garantiert glücklich.

Das Gespräch führte Richard Herold.

SRF 1, Kulturplatz, 04.01.2022, 22:25 Uhr ; 

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