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Oper trifft Ballett 140 Lebensgeschichten und eine Totenmesse

Mit ihren eigenen Gefühlen hauchen Sänger und Tänzer des Opernhauses Zürich Verdis gewaltigem Requiem neues Leben ein. «Messa da Requiem» von Christian Spuck ist eine Reise durch die ganz grossen Gefühle des Menschseins.

Ein riesiges Bilderbuch der menschlichen Gefühlswelten: Wut, Angst, Verzweiflung und Hoffnung. In 16 überdimensionalen Tableaus erzählen 140 Sänger und Tänzer von den ganz grossen Emotionen im Leben. Ein Gemeinschaftswerk von Oper und Ballett – schon dieses Zusammenwirken ist ein Spektakel.

Verdis Totenmesse szenisch inszeniert ist ein Schritt ins Unbekannte. Christian Spuck, Direktor des Balletts Zürich, hat diesen Schritt gewagt. Seit er als 17-Jähriger das Stück erstmals am Radio hörte, hat es ihn nie mehr losgelassen. Für ihn ist das Werk näher am Leben als am Tod. «Verdi stellte menschliches Empfinden in den Mittelpunkt. Was eigentlich im Kontrast zum Requiemtext steht.»

Video
Totenmesse im Operngewand
Aus Tagesschau vom 03.12.2016.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 19 Sekunden.

Wenn die eigenen Gefühle Regie führen

Die Tableaus wirken nicht nur wegen ihrer Dimensionen. Sie beeindrucken, weil sämtliche Darsteller auf der Bühne sich selbst sind. Alle Sänger und Tänzer zeigen auf berührende Art und Weise ihre Gefühle. Sie reflektieren, was die Musik in ihnen auslöst. Fast so, als ob ihre Emotionen Regie führten.

«Spuck hat jedem von uns die Freiheit gelassen, unsere eigenen Gefühle darzustellen. Wir sind für einmal keine fiktiven Charaktere, weil wir sonst wie maskiert wirkten», schildert Solistin Giulia Tonelli.

Sich selbst zeigen statt in eine Rolle schlüpfen

Verdi, der Antikleriker

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Aussicht auf die Hölle: Verdis Messa da Requiem, die Totenmesse eines Agnostikers.

Wir treffen die Ballerina zusammen mit Mezzosopranistin Veronica Simeoni im Spiegelsaal des Opernhauses. Sie erzählen von den Proben, von Gefühlen wie Angst, Wut oder Hoffnung, die sie frei auslebten: «Eine Kraft, die sich multiplizierte, so dass wir uns manchmal auch zurückhalten mussten», beschreibt Sängerin Simeoni.

Sänger und Tänzer sind gewohnt, auf der Bühne in eine Rolle zu schlüpfen. Keinen Charakter zu zeigen, sondern Emotionen pur, ist für die Künstler eine Herausforderung. «Wir sind nur das Instrument. Ich mit der Stimme, Giulia mit dem Körper», sagt Simeoni. «Aber wir erzählen ohne darzustellen. Wir zeigen uns selbst».

Mehrere Tänzer halten Tänzerin in die Höhe, vorne steht Sängerin.
Legende: Tänzerin Giulia Tonelli (oben) und Sängerin Veronica Simeoni (vorne). Gregory Batardon

So verletzlich wie noch nie

Der Tod selbst war in den Proben nie ein Thema. «Die Musik ist so stark und transportiert so viele Emotionen, ohne den Tod direkt auszusprechen», erklärt Spuck. Die meisten der jungen Tänzer haben sich noch nie Gedanken zum Lebensende gemacht. Tänzerin Tonelli hingegen denkt oft über Vergänglichkeit nach. Die persönliche Auseinandersetzung mit dem Tod gehöre zum Menschsein: «Wir alle wissen, dass wir sterben müssen. Das verdrängen wir und trotzdem ist es mächtig.»

Nie habe sie sich so verletzlich gefühlt, wenn sie tanzte. Das Werk berühre sie zutiefst, es habe «innere Akkorde» in ihr angeschlagen. Akkorde, die auch beim Publikum lange nachklingen. Es ist ein Requiem, das auch Zuversicht schenkt – im Hinblick aufs Unbekannte, das uns alle zum Lebensende erwartet.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Musik, 14.04.2017, 22:15 Uhr

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