Bevor das Schlachthaus am 1. Januar 1998 zur offiziellen Spielstätte der freien Theaterszene wurde, hatte es sein Dasein als Gemischtwarenladen gefristet. Kreativ und bisweilen chaotisch ging es im «alten Schlachthaus» zu und her – wie die Spielstätte damals noch hiess.
Bern war künstlerische Avantgarde
Es herrschte Aufbruchstimmung. Wer etwas zeigen wollte – eine Modeschau, ein Konzert, ein Theaterstück – rief den Techniker der Spielstätte an und sorgte für einen Veranstaltungstermin. Das «alte Schlachthaus» konnte als Veranstaltungsort gemietet werden, eine künstlerische Leitung oder Programmverantwortliche gab es indes nicht.
Die Aufbruchstimmung war geprägt von Experimenten. Waren in den 1980er-Jahren vor allem Kollektive am Werk gewesen, kam es in den Neunzigern zu neuen Ad-hoc-Formationen. Was heute «Freie Szene» genannt wird, nahm in dieser Zeit ihren Anfang. Man versuchte sich in neuen Kooperationen und probierte neue Formate aus. Und die experimentellen Ergebnisse fanden ohne bürokratisches Tamtam auf die Bühne. Bern war künstlerische Avantgarde.
Wichtige Adresse für freie Kulturschaffende
So wurde das alte Schlachthaus zur wichtigen Adresse für freie Kulturschaffende aller Disziplinen. Ein Umschlagplatz für zündende Ideen. Dem Haus fehlten allerdings Kontinuität ein vermittelbares Profil. Für das Publikum war es oft schwierig, sich ein Bild zu machen, was an der Rathausgasse gezeigt wurde.
Es war eine Zeit weit vor Social Media. Werbung ging in erster Linie von Mund zu Mund, ferner druckte man eigenhändig Flyer und legte sie in den einschlägigen Lokalen und damals noch spärlichen Clubs der Innenstadt aus.
Vorbilder Kaserne Basel und Gessnerallee Zürich
Doch das «Alte Schlachthaus» war auch ein Zankapfel. Bereits in den 1980er Jahren hatte das Berner Stadttheater aus Platzmangel Interesse an der Spielstätte angemeldet. Engagierte Theaterschaffende der freien Szene wie Jost Nyffeler, Trix Bühler und Irène Howard widersetzten sich diesem Vorhaben vehement.
Das alte Schlachthaus sollte als freier Kulturort erhalten bleiben. Mit langem Atem und guten Argumenten sorgten sie dafür, dass im Auftrag der Stadt Bern ein Konzept zur Nutzung des Alten Schlachthauses erarbeitet wurde.
Als Vorbild dafür dienten die Kaserne Basel und die Gessnerallee Zürich. Beides waren schon damals etablierte Gastspielbetriebe ohne eigenes Ensemble, die als wichtige Plattformen für die freie Szene der Schweiz fungierten. Und wo auch Gastspiele aus dem Ausland gezeigt wurden. Ein vergleichbarer Ort in Bern war überfällig.
Mit Debatten und Protesten zum Durchbruch
Nach langen Debatten und Protestaktionen gelang es schliesslich, die Stadt Bern davon zu überzeugen, dass das «Alte Schlachthaus» ein Ort für die freien Gruppen werden sollte. Mit einem jährlichen Rahmenkredit von 800'000 Franken und einer professionellen Leitung. 1996 formierte sich der «Verein Interessensgruppe Altes Schlachthaus», der diese Leitung einstellen sollte.
Aus über 100 Bewerbungen wurde das Triumvirat Sandro Lunin, Friedrich A. Roesner und Urs Rietmann gewählt. Ihr Amt traten sie 1998 mit einem überzeugenden Spielplan an. Aufsehen erregte die Tatsache, dass das Kinder- und Jugendtheater nun denselben Stellenwert wie das Theater für Erwachsene genoss. Das Kinder- und Jugendtheater erlebte seine Blütezeit.
Ein Hauch Avantgarde
Kontinuität und ein guter Mix zwischen Produktionen der nationalen, regionalen und internationalen freien Theaterszene haben das Image des Schlachthaus Theaters seither geprägt. Und bisweilen ist noch ein Hauch jener Avantgarde zu spüren, auf welcher der Erfolg dieser Spielstätte beruht.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 3.1.2017, 09.00 Uhr.