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Belästigung am Theater Bühnenexpertin: «Nicht nur Vorgesetzte sind potenzielle Täter»

Erschreckende Zahlen: Vier von fünf Schauspielerinnen oder Tänzern in der Schweiz haben bei der Arbeit sexuelle Übergriffe erlebt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Umfrage des Schweizerischen Bühnenkünstlerverband (SBKV) . Wie lassen sich diese Zustände ändern? SBKV-Generalsekretärin Salva Leutenegger über Problemzonen und Pläne.

Salva Leutenegger

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Salva Leutenegger ist Geschäftsführerin des Schweizerischen Bühnenkünstlerverbands (SBKV).

SRF: Was genau ist in der Umfrage mit sexuellem Übergriff gemeint?

Salva Leutenegger: Wir meinen damit nicht nur die körperlichen Übergriffe, sondern auch sexualisierten Machtmissbrauch. Ein Missbrauch kann auch eine schriftliche bildliche Belästigung sein, per E-Mail oder mit Handybildern, eine nonverbale Belästigung oder eben die direkte verbale Belästigung.

In Theatern wird intensiv mit dem Körper gearbeitet. Ist denn immer eindeutig, was eine Grenzüberschreitung ist?

Das sind oft schwierige Abgrenzungen. Aber es ist immer dort schwierig, wo die Sensibilität fehlt. Diese Sensibilität müssen alle haben. Vor allem die Vorgesetzten, die Regisseure, die Choreographen.

Was eine Belästigung ist, ist zwar nicht immer klar. Sie passiert aber immer dort, wo sich die Leute nicht wohlfühlen.

Gibt es ein bestimmtes Arbeitsklima, das dazu beiträgt, diese Grenzen verwischen zu lassen?

Uns hat die Feststellung überrascht: Nicht nur Vorgesetzte sind potentielle Täterinnen und Täter, sondern auch Arbeitskollegen und Kolleginnen. Mit fast 39 Prozent ist das ein grosser Anteil.

Ich glaube auch, dass das Klima eine Rolle spielt. Weil es dazu einladen kann, Sprüche zu klopfen oder einen despektierlichen Umgang zu pflegen. Es kann schon sein, dass in der Kunst die Grenzen leichter überschritten werden, weil man locker ist und eng miteinander arbeitet.

Es kann schon sein, dass in der Kunst die Grenzen leichter überschritten werden.

Viele Betroffene setzen sich nicht zur Wehr. Sie fürchten, in der kleinen Schweizer Szene als schwierig zu gelten und dann keine Jobs mehr zu bekommen. Wie kann man Ihnen helfen, sich trotzdem zu äussern?

Indem sie sich Leute suchen, die vertrauenswürdig sind. Da stehen wir als Berufsverband zur Verfügung. Es gibt mittlerweile auch grosse Häuser, die Anlaufstellen haben. An die kann man sich wenden, wenn man das Vertrauen aufbringt.

In der freien Szene kennt man solche Anlaufstellen aber nicht. Da muss man sich ausserhalb der Szene jemandem anvertrauen oder sich beraten lassen, wie man vorgehen kann. Da muss man oft vorsichtig sein, weil die Gefahr tatsächlich gross ist, keinen Job mehr zu kriegen.

Der SBKV hat jetzt eine Plattform online geschaltet, wo man sich auch anonym melden kann. Welche Massnahmen möchten Sie sonst ergreifen?

Wir wollen die Künstlerinnen und Künstler stärken. Wir wollen Workshops für das nächste Jahr planen. Und wir wollen die Arbeitgeber in die Verantwortung nehmen. Sie müssen für ein entsprechendes Klima sorgen. Sie müssen viel aufmerksamer sein.

Ansetzen müssen wir aber auch in der Ausbildung. Viele Junge haben das Gefühl, sie müssten alles tun. Sie müssen aber vor allem lernen, etwas zu sagen, wenn sie nicht wohl fühlen, wenn ihnen eine Szene zu weit geht oder wenn es für sie nicht stimmt.

Das Gespräch führte Irene Grüter.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 13.11.2020, 17:20 Uhr ; 

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