Das Berliner Theatertreffen war immer ein exklusiver Anlass. Legendär, das Gerangel um Karten, die immer schon ausverkauft waren, kaum hatte der Vorverkauf begonnen. Wer ein Ticket für eine der zehn eingeladenen «bemerkenswerten» Inszenierungen ergattern konnte, gehörte schon fast selbst zu den Auserwählten.
Bemerkenswert ist dieses Jahr, dass es diese Exklusivität nicht mehr gibt. Die digitale Ausgabe der «Bestenschau» der deutschsprachigen Theaterwelt ist unbeschränkt zugänglich – und kostenlos.
Neue Zugänglichkeit und grössere Reichweite
Während im letzten Jahr nur ein Teil der ausgewählten Inszenierungen online gezeigt wurde, gibt es dieses Jahr alle zehn eingeladenen Produktionen zu sehen.
Neben den aufwändig produzierten Fernsehaufzeichnungen von 3sat hat sich dabei vor allem die Form des Livestream durchgesetzt. Dort teilen das Publikum und die Schauspieler zwar nicht den selben Raum, aber zumindest die selbe Zeit.
Das analoge Zusammenkommen und gemeinsame Erleben von Theater ersetzen die Livestreams aber nicht. Das ist die Kehrseite der neuen Zugänglichkeit und der grösseren Reichweite für das Festival.
Wo bleiben die neuen digitalen Formen?
Noch mehr als andere Festivals ist das Berliner Theatertreffen ein Branchentreffen, bei dem Künstler, Zuschauerinnen und Kritiker in einen Dialog kommen. Das Schwärmen, das Schimpfen, die selbstverliebte Pose und die beleidigte Kritik gehör(t)en zum Berliner Theatertreffens wie der Kampf um die Karten. Für diesen Austausch, der eine körperliche Nähe und gemeinsame Seherfahrungen voraussetzt, gibt es keinen digitalen Ersatz.
Doch gleichzeitig wurde hier eine Chance verpasst, die neuen digitalen Möglichkeiten wahrzunehmen: Auch bei bei der diesjährigen Auswahl steht ein traditioneller Theaterbegriff der Kopräsenz von Publikum und Bühne im Zentrum. Wo sind die neu entstandenen digitalen Formen und Formate? Ist die institutionelle Öffnung nur aus der Not geboren oder weist sie tatsächlich in die Zukunft?
Die Qual der grossen Auswahl
Die neuen Möglichkeiten, sich einen Überblick über das Programm verschaffen zu können, ohne reisen zu müssen oder zu den wenigen privilegierten Kartenbesitzerinnen zu gehören, werden auch in den nächsten Jahren eine Rolle spielen. Der Weg zurück in die Exklusivität ist keine Option. Doch wird damit das Berliner Theatertreffen seine Einzigartigkeit verlieren?
Der Gewinner ist das Publikum: Viele, die bislang keinen Zugang hatten, bekommen durch die digitalen Formen die Möglichkeit, dabei zu sein. Andererseits ist auch die Qual der Wahl grösser geworden. Denn die Vorstellungen des Berliner Theatertreffens, das Programm des nationalen südafrikanischen Performing Arts Festivals oder der digitale iranischen Showcase mit Nachwuchsproduktionen – sie alle sind nur noch einen Klick entfernt.