Wissen Sie, wie die Börse funktioniert? Was «Token», «Derivate» und «Krypotwerte» bedeuten? Viele Menschen verstehen, wenn sie ehrlich sind, beim Thema Börse nur Bahnhof. Ein Grund für Regisseur Tim Zulauf, ganz genau hinzuschauen.
«Ich verstehe nichts von der Börse, höre aber viele Aufforderungen, in Aktien zu investieren», sagt Zulauf. «Die Geschichte rund um Wirecard hat mich dann sehr beschäftigt. Viele Leute haben gedacht, sie sind gut versorgt. Und plötzlich ist das Geld weg.»
Glasfasernetze und amoklaufende Algorithmen
Trotz Krisen und Skandalen scheint der Ruf des grossen Geldes nämlich ungebrochen. Im Stück «Börsen handeln» steht eine Krise im Zentrum: In einer nicht allzu fernen Zukunft stehen die Aktienkurse plötzlich still. Ein amoklaufender Handelsalgorithmus? Oder das Ende aller Märkte?
Dominique Theiler, Leiter des Schweizer Finanzmuseums (Andreas Storm) und Elodie Nah (Susanne Abelein), Expertin für digitale Anlagen, versuchen die Kurse wieder in Gang zu bringen – und stossen dabei immer weiter vor in das verworrene Innere des Börsengeschehens.
Glasfasernetze sind Trumpf
Mit Kopfhörern ausgestattet begleitet das Publikum die zwei Figuren: durch das Gebäude der neuen Zürcher Börse, in den Hinterhof, in den Keller und in die Konferenzräume.
Hier in Zürich West, versteckt zwischen Migros-Outlet und Autobahnzubringer, steht seit 2017 der Hauptsitz der Börse SIX Swiss Exchange.
Die alte, neue Börse beim Bahnhof Selnau war schon kurz nach ihrer Eröffnung in den 1990er-Jahren überflüssig geworden – Zugang zu Glasfasernetzen war wichtiger als ein Prestigebau mitten in der Stadt.
Der Börsen-Ring ist Geschichte
Die Börse verschwindet ins Digitale. Die Zeiten, in denen sich Männer mit gelockerten Krawatten am Börsen-Ring gegenseitig Aktienkurse zubrüllten, sind längst vorbei.
Heute bestimmen Algorithmen innerhalb von Mikrosekunden das Geschehen, vom Wohnungsmarkt bis zur Altersvorsorge. Für Laien sind die Abläufe undurchsichtig.
«Das hat mich in meiner Arbeit immer beschäftigt: Wie kann ich abstrakte Sachverhalte mit dem Körper der Schauspielerinnen und Schauspieler und dem Körper des Publikums fassen?», fragt Tim Zulauf.
Science Fiction im Jetzt
Den abstrakten Fachbegriffen begegnet das Stück mit Sprachwitz: «Sie legen sich nicht mit mir an, Sie legen an in mich», sagt Susanne Abelein als Elodie Nah im Konferenzraum. In der Science-Fiction-Welt von «Börsen handeln» geht alles an die Börse, sogar das eigene Ich.
«Science Fiction spiegelt immer die Gegenwart», meint Zulauf. Zeitverhältnissen bilden den eigentlichen Kern des Stücks: Wer hat Zeit, um sich mit komplizierten Börsenkursen auseinanderzusetzten? Wessen Zeit ist wie viel Wert?
Grossangelegte, komplexe Recherchen sind typisch für Tim Zulaufs Produktionen; «Börsen handeln» fordert entsprechend viel vom Publikum. Der temporeiche Gang durch die Börse stellt brisante Fragen und ist klug, aber auch etwas verkopft geraten.