SRF: Wie entstand die Idee für das Bühnenbild der diesjährigen Bregenzer Festspiele?
Es Devlin: Wir haben eng mit dem Regisseur Kasper Holten zusammengearbeitet. Holten war von Anfang an der Meinung, dass die Kombination von Luft und Wasser hier in Bregenz ideal für die Inszenierung von «Carmen» ist.
Die Luft steht für die Freiheit, die im Stück reichlich besungen wird. Das Wasser hingegen steht für das Unvermeidbare, für das Schicksal. Zwischen diesen beiden Punkten wollten wir arbeiten.
Wir haben zuerst viel ausprobiert und über Stierkampf, Blumen und schliesslich auch Karten nachgedacht. Das sind alles tragende Symbole in «Carmen». Die Idee der aufgeworfenen Karten kam uns in meinem Studio. Diese Geste verbindet Freiheit und Schicksal zugleich.
Was war die grösste Herausforderung beim Bau der Bühne?
Die Bühne sollte eigentlich keinen schwierigen Anschein machen! (lacht) Für die Zuschauer soll das Bühnenbild leicht und einfach aussehen. Aber klar, wenn man die Bühne von hinten anschaut, sieht die Konstruktion alles andere als einfach aus.
Sie bleibt aber auch zwei Jahre stehen und muss Wind und Wetter standhalten. Die grosse Herausforderung war es also, die aufwändigen Konstruktionen für das Publikum unsichtbar zu machen.
Sie haben sich sehr intensiv mit der Novelle «Carmen» befasst. Wie hat die Protagonistin Carmen ihren Weg ins Bühnenbild gefunden?
Mérimées Novelle sowie die darauf aufbauende Oper von Bizet schockierten im 19. Jahrhundert die Bourgeoisie. Die Handlung war zu explizit erzählt, zu dreckig und direkt. Carmens Arme, die hier aus dem Wasser ragen, haben wir mit einem Tattoo und Narben versehen.
Sie sollen die Unverfrorenheit von Carmens Charakter unterstreichen. Die Protagonistin strebt nach absoluter Freiheit und bezahlt dafür mit Einsamkeit.
Wie viel von Ihnen persönlich ist in jedem Bühnenbild zu finden?
In meinem Studio in London arbeite ich mit fünf Personen zusammen. Für die Bregenzer Festspiele arbeite ich mit 70 Vollzeitbeschäftigten. Meine Ideen in einem solch grossen Team zu kommunizieren, ist total anders.
Die Leute vor Ort sind Experten in ihrem Bereich und setzen die Ideen hervorragend um. Durch ihre Arbeit gibt jeder von ihnen dem Bühnenbild eine persönliche Note.
Das Gesamtwerk wird am Ende aber mit meinem Namen in Verbindung gebracht. Kritik und Fragen werden an der Premiere an mich gerichtet. Ich trage die Verantwortung für jede Entscheidung, die das Bühnenbild betrifft. Diese Verantwortung wiegt schwer und bereitet mir manchmal schlaflose Nächte.
Sie haben bereits die Schlussfeier der Olympischen Sommerspiele 2012 in London, die Konzertbühne von Miley Cyrus und Bühnenbilder für verschieden Opern inszeniert. Arbeiten Sie für jedes Genre anders?
Nein. Der Arbeitsprozess ist in allen Genres ähnlich. Ich gehe vor wie ein Arzt, der zuerst eine Diagnose stellt und den Patienten dann behandelt.
Egal ob Modeschau oder Popkonzert, ich muss mich zuerst in die Materie hineingeben und herausfinden, was es für ein gelungenes Bühnenbild braucht. In einem zweiten Schritt fälle ich dann konkrete Entscheidungen, die zur materiellen Umsetzung führen.
Ihre Projekte sind sehr divers. Gibt es für Sie trotzdem einen roten Faden, der sich durch Ihr langjähriges Schaffen zieht?
Für mich sind es mehrere rote Fäden, die sich über die Jahre zu einem Geflecht entwickelt haben. Jedes Projekt bereichert meinen Erfahrungsschatz. Meine Ideen und Interessen des einen Projekts beeinflussen das Konzept des nächsten Projekts. Insofern sind alle meine Projekte der letzten 20 bis 30 Jahre in gewisser Weise miteinander verbunden.
Was bewog Sie dazu, für die Bregenzer Festspiele das Bühnenbild zu gestalten?
Seit 20 Jahren warte ich auf dieses Angebot! Die Bregenzer Festspiele sind das Mekka für alle, die in Bereich Bühnenbild arbeiten. Die Kombination von Himmel und See ist einzigartig und für jede Bühnenbildnerin ein sehr inspirierender Arbeitsort.
Zudem sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen hier einmalig: Die Grösse von Zuschauertribüne und Bühne ist rar, die Bühne bleibt für zwei Jahre stehen und die Mitarbeiter geben ihr Herzblut für das Projekt. Normalerweise wird bei einem Auftrag höchstens eine dieser Komponenten erfüllt.
Das Gespräch führte Alexis Amitirigala.