Das Schauspielhaus Zürich startet mit Kafka in die Saison. Inszeniert hat die Spielzeiteröffnung, eine liebgewordene Tradition am Schauspielhaus, die Hausherrin selber, Intendantin Barbara Frey.
Kampf durch den surrealen Albtraum
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Sei es im Hamsterrad der Unzulänglichkeit, sei es in einer Freakshow der bösen Dämonen: Gerade Kafkas «Prozess» ist ein Roman, der immer wieder auch die Bühnen zur Auseinandersetzung reizt. Kafkas Protagonist kämpft sich durch einen surrealen Albtraum, es bleibt offen: Geschieht er ihm oder geschieht er in seinem Innern – das reizt Theater, weil solch traum- oder albtraumhafte Verschiebung und Verdichtung sehr wirksame szenische Entsprechungen finden können und im Grund genuine Theatermittel sind.
Vor einem Gericht mit unfassbaren Regeln
«Der Prozess» ist nun wirklich alles das, was man gern kafkaesk nennt: Im Zentrum steht Josef K., ein unbescholtener Bankprokurist, er sieht sich am Morgen seines 30. Geburtstags unversehens mit zwei unheimlichen Wächter-Figuren konfrontiert, die ihn in Haft nehmen. Was ihn allerdings nicht hindert, weiter seiner alltäglichen Normalität nachzugehen: in der Pension, in der er sich eingemietet hat, auf der Bank, wo er als Prokurist arbeitet. Er beteuert seine Unschuld und will sie in dem «Prozess» beweisen – was ganz und gar unmöglich ist, zu unfassbar sind die Regeln, zu absurd das Gericht, zu sehr verstrickt er sich in den Albtraum. Nach einem Jahr wird er hingerichtet.
Gefangen in der tödlichen Manager-Normalität
Im Zentrum von Kafkas Roman steht Josef K. – im Zentrum der Zürcher Inszenierung der Schauspieler Markus Scheumann, der Franz K. spielt; er tritt auf mit Laptop und Handy, ganz der smarte Manager von heute, aber auch ganz in Zwängen gefangen. Eine sehr lange, unangenehm lange Anfangsszene hindurch muss das Publikum nichts als ihn und seinen Computer aushalten, als ob Regisseurin Barbara Frey damit sagen wollte: Das eigentliche Gefangensein ist dieses Funktionieren in einer tödlichen Manager-Normalität. Die Regisseurin tappt aber nicht in die Falle, Kafkas rätselhaftem Text eine plumpe (zum Beispiel zeitpolitische) Eindeutigkeit geben zu wollen.
Das Bühnenbild ist eine einzige hohe Wand aus Schliessfächern, manchmal öffnen sie sich, und geben den Blick frei auf albtraumhaft verknäuelte Figuren, oder auch nur auf einen sprechenden Kopf.
Kafkaeske Beklemmung
Es gelingt Barbara Frey an mancher Stelle, diese kafkaeske absurde Beklemmung zu inszenieren, mit surrealen Bildern wie einem fahrenden, hochgestellten Bett oder einer traurigen Prozession von gramgebeugten Angeklagten an Wägelchen mit Infusionsflaschen.
Sie inszeniert auch einiges an Triebleben und den zugehörigen Schuldgefühlen in dieser Albtraumwelt und legt so – freilich auf sehr unaufdringliche, dezente Weise – eine Deutung nahe, die den Prozess Josef K.s als eine Art Selbstgericht versteht. Ausgehend vom letzten Satz des Romans, in dem es heisst: «…es war, als sollte die Scham ihn überleben.» Auch hier wird sehr deutlich: Die Regisseurin will Kafkas verschlossenen Text nicht mit Zwang aufbrechen. Es zeitigt eine ungewollte Wirkung, Unverbindlichkeit.
Inbild der Scham
Markus Scheumanns Josef K. ist ein Inbild der Scham, der Kränkung, im eigenen Haus nicht Herr zu sein. Im barocken Theater hätte man gesagt: eine Allegorie der Scham.
Wie er mit einem Tüchlein den Tisch abwischt, an dem er gerade gearbeitet hat, wie er richtiggehend einknickt nach der Verhaftung, wie er schwächlich aufbegehrt – ein Musterkatalog der Gehemmtheit. Er bleibt darin gefangen.