«Es braucht neue Formen!» ist der aufmüpfige Jungkünstler Kostja überzeugt. Und: das Theater müsse nicht die Wirklichkeit darstellen, sondern das, wovon man träumt. Sein erstes Stück allerdings wird floppen, nicht zuletzt wegen der Ignoranz seiner Mutter. Die grosse Schauspielerin Irina Arkadina und ihr Geliebter, der etablierte Schriftsteller Trigorin, dulden keine andere Kunstauffassungen neben der ihren.
Liebe oder Kunst: Das ist die Frage
In Tschechovs erstem Theaterstück «Die Möwe» wird die Frage nach der Kunst sehr explizit gestellt. Auch hier lieben und leben, wie immer bei Tschechov, die Figuren aneinander vorbei: Mascha liebt Kostja, dieser ist vernarrt in Nina. Sie wiederum wünscht sich ein Leben mit Trigorin, er missbraucht diese Bewunderung, obwohl er der Geliebte von Arkadina ist.
Dieses im Kern von Elend und Versagen erzählende Stück kommt auch heute noch so menschlich wie zeitlos daher. Das macht es zum Klassiker. Tschechov selbst osziliert zwischen der alten und der neuen Kunstform und schildert in der Frage nach der Kunst, wie in der Frage nach der Liebe, Verständnis für alle Seiten. Dennoch fordert sein Stück dazu auf, auch mehr als 200 Jahre nach der Uraufführung, Position zu beziehen.
Schauspieler- und Schattentheater
Viktor Bodo ignoriert dieses Anliegen weitgehend. Er hat sich als Bühne einen fast leeren Raum gebaut. Darin steht ein rostiges Baugerüst, das zur Tribüne für das Sommertheater im ersten Akt wird. Dazwischen ein paar Möbel, Innen- und Aussenwelt durchdringen sich. Bodo lässt den Schauspielerinnen und Schauspielern viel Freiraum, ihre je eigene Spielhaltung zu den Figuren zu finden. Das führt teilweise nahe an Tschechov heran, wirkt dann auch wieder einfach beliebig.
Befremdend ist, dass Bodo sich in den Zwischenakten dann doch noch eindeutig ästhetisch positioniert. In einem poetisch anmutenden Schattenspiel, das grosse Umbauten verspricht, werden Schwarz-Weissbilder auf den Vorhang geworfen. Wenn dieser wieder hochgeht, entblösst sich das Theater allerdings als reine Illusion.
Eine Künstlerin in der Midlife-Krise
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Auch Richard Maxwell hat sich zum Spielzeitauftakt in Basel mit einer künstlerischen Krise beschäftigt. Auf der Folie von «Tristan und Isolde» entwickelt er eine Dreiecksgeschichte um eine Schauspielerin, die sich ihre Texte nicht mehr merken kann und damit ihre Kernkompetenz verliert. Ihr Mann, ein Bauunternehmer, will ihr helfen, aus der künstlerischen Krise herauszukommen. Deshalb lädt er sie ein, ein Haus zu bauen. Sie findet dafür einen Architekten, ist fasziniert von ihm, lässt sich auf eine Affäre ein. Das Haus bleibt ein Luft- und Ideengebilde.
Theater ohne Emotionen
Richard Maxwell hat sich in der Vergangenheit einen Namen gemacht mit seinem «Anti-Theater». Alle Emotionen sind dabei ans Publikum delegiert, auf der Bühne besteht die reine Präsenz der Schauspieler, die Text aufsagen. Klirrendes, sprödes Spiel: Diese Ästhetik hat Maxwell den Ruf eines Avantgardekünstlers eingebracht.
In seiner neusten Arbeit, die als Zusammenarbeit mit seiner amerikanischen Gruppe «The New York City Players» und dem Theater Basel entstanden ist, geht er einen Schritt vorwärts – und integriert die Psychologie wieder ins Spiel.
Buchstäblich zerrissene Identitäten
Gleich dreifach ist Isolde besetzt: mit einer Basler Schauspielerin, einer amerikanischen und einer Opernsängerin. Und wenn die beiden Männer um Isolde buhlen, werden sie schon auch mal laut. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass sich Künstler weiterentwickeln, im Gegenteil. In diesem Fall allerdings fällt Maxwell hinter seine eigenen Errungenschaften zurück.
Dass aber das Theater Basel versucht, über den eigenen Tellerrand zu schauen und Künstler aus dem nicht-deutschsprachigen Raum einlädt, geht in die richtige Richtung. Auch wenn die beiden Stücke über die Kunst und die Liebe, die der Auftakt gebracht hat, die radikal heutigen Positionierungen vermissen lassen.