Anna Fries, was ist «Right of passage»? Ein Theaterspiel? Ein Computerspiel? Theaterspiel der Zukunft?
Mehrere Sachen gleichzeitig: Es ist ein Hybrid aus Theater und Computerspiel. Ich würde es als «Open World»-Szenario beschreiben. Das heisst, die Zuschauer und Zuschauerinnen bewegen sich frei im Spiel. Und es ist partizipativ. Jeder macht mit, so viel wie er oder sie will. Aber es gibt auch Teile, die geskriptet sind, das heisst Szenen, die gespielt werden.
Aber das Publikum selber spielt keine Rollen, sondern spielt sozusagen ein Spiel. Ob es das Theater der Zukunft ist, weiss ich nicht. Ich denke oder hoffe sowieso, dass Theater immer vielfältig und innovativ sein wird. Grundsätzlich denke ich aber schon, dass solche Stücke, wie wir sie machen, in den letzten Jahren ein immer grösseres Publikum haben.
Wie viel von der Handlung ist schon im Voraus bekannt?
Ganz viel. Das ist signifikant für unsere Arbeit. Wir haben relativ klar geskriptete Projekte, die aber aus verschiedenen Teilen bestehen, welche dann frei laufen können und sich dann aus Improvisation speisen. Aber ganz grundsätzlich ist jeder Abend genau gleich geschrieben. Es gibt immer die selben Figuren und denen geschehen auch dieselben Sachen.
Was dann aber diesen Figuren mit den Zuschauern und Zuschauerinnen – oder Spieler und Spielerinnen, wie wir sagen – passiert, das ist sozusagen offen.
Mit welchem Gefühl soll ein Zuschauer nach Hause gehen?
Ich möchte das gar nicht so generell beantworten, weil ich eher davon ausgehe, dass alle Leute extrem unterschiedlich auf das reagieren, was wir ihnen anbieten. Es ist kategorisch gesehen nicht unser Begriff von Kunst oder von künstlerischen Projekten, dass wir sagen, ‹genau das wollen wir erreichen und wenn wir das haben, dann waren wir sozusagen erfolgreich›.
Prinzipiell finden wir es spannend, Situationen zu generieren, die gleichzeitig Spass machen und die potentiell zum Nachdenken anregen. Und ich hoffe, dass das «Right of Passage» ist.
Wie reagieren die Zuschauer auf das Spiel?
Beiträge zum Thema
Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Leute dieses Stück aufnehmen. Ich glaube da kommen ganz banale menschliche Züge zum Vorschein. Es gibt Leute, die sehr sozial spielen und es gibt Leute, die extrem egoistisch spielen. Das ist interessant, weil alles möglich ist.
Es sind schon sehr spannende Sachen passiert und jede Gruppendynamik ist unterschiedlich. Es gibt übrigens auch Leute, die wütend werden bei all der bürokratischen Willkür, die ihnen im Spiel im Weg steht. Meine Mutter beispielsweise sprach nach der Vorstellung eine Stunde lang nicht mehr mit mir.
Mit dem Flüchtlingscamp haben Sie sich an schweren Stoff gewagt.
Wir versuchen das Wort «Flüchtling» wenn möglich zu vermeiden, weil wir wissen, dass wir nicht wirklich ein Flüchtlingsszenario abbilden können. Stattdessen kreieren wir eher eine stellvertretende Situation und produzieren bürokratischen Stress. Wir wollen dem Spieler ein Gefühl geben, wie es ist, Schwierigkeiten mit seiner Nationalität zu haben, mit seiner Religionszugehörigkeit, mit dem Pass, den man besitzt.
Was, wenn man gar keinen Pass hat? Wir wollen diese Frustrationen und Emotionen herauf beschwören. Wir wollen für ein Publikum erfahrbar machen, wie es ist, wenn die eigene Nationalität keinen Vorteil bedeutet. Ich würde behaupten, dass wir uns damit nicht auf eine Position gewagt haben, die unangemessen ist. Alles spielt in einem extrem fiktiven Szenario – man sieht beispielsweise kein Flüchtlingsboot oder Kindersärge.