Es ist die Geschichte von einem Mann, der gut geboren wird und sich dann zu einem gnadenlosen Narzisst entwickelt, für den nur noch das eigene Weiterkommen zählt. Eine umgekehrte «vom Saulus zum Paulus»-Geschichte.
Dabei erfährt man am Anfang erstaunlich viele Details aus der vorkindlichen Phase des Protagonisten. Dennis Kelly beschreibt die Zeugung von Gorge Mastromas wie folgt: «Es war eine warme, sanfte Nacht, nicht zu heiss, eine leichte Brise wehte durchs offene Sommerfenster. Früher am Tag hatte es geregnet, aber jetzt war die Luft klar und die Nacht von einer Sanftheit wie… Eine Pause. Der Liebesakt war nicht besonders genussreich, aber auch nicht besonders unerfreulich...». So kam Gorge Mastromas «ins Dasein».
Vom Verlierer zum Egoisten
In den ersten zwei Jahrzehnten hält sich Mastromas an eine ihm scheinbar angeborene Moral: Er ist loyal zu seinem Freund Paul, auch wenn dieser von den anderen geächtet wird. Er bleibt seiner Freundin treu, auch wenn er seine langjährige Flamme endlich küssen könnte.
Mit Mitte 20 ändert Mastromas seine Haltung zum Leben: Er wird Zeuge der gnadenlosen Strategie einer Managerin, die das Unternehmen seines Bosses übernimmt. Und entscheidet sich für den Weg des egoistischen Erfolgs: Von jetzt an betrügt er, lügt er – und geht dabei über Leichen.
Formale Brüche eröffnen unterschiedliche Perspektiven
Dennis Kelly ist ein geschickter Geschichtenerzähler. Einerseits folgt er dem Leben des Gorge Mastromas von der Zeugung bis zum alten Mann chronologisch. Andererseits verändert er beim Erzählen immer wieder die Perspektive. Es gibt Erzählpassagen, in denen die Schauspieler zusammen berichten, was Mastromas erlebt hat.
Diese Szenen werden durchbrochen von Spielszenen, in denen sie ganz klassisch in Rollen schlüpfen und konkrete Situationen spielen: Die Übernahme der Firma, wie Mastromas die Liebe seines Lebens nach Strich und Faden betrügt, wie er von seinem Bruder heimgesucht wird, der ihn auffliegen lassen will.
Nicht ganz zufällig stehen am Rand der Bühnen in Bern und auch Winterthur Kleiderständer. Die Rollenwechsel finden nicht hinter der Bühne statt, sondern gehören zur Erzählung. Ein Fingerschnippsen oder ein Lichtwechsel genügt: Der Blick auf Mastromas ist ein anderer.
Spiellust und Haltungsfragen
Die beiden Inszenierungen am Konzert Theater Bern (Regie: Markus Kubesch) und dem Theater Kanton Zürich (Regie: Rüdiger Burbach) geben zwei unterschiedliche Interpretationen des Stoffes. In Winterthur fokussiert man darauf, Kellys gut erzählte Geschichte auf die Bühne zu bringen und dabei die Analogie zur heutigen kapitalistischen Orientierung herauszuarbeiten. Fast wie ein Lehrstück kommt die Inszenierung daher. In Bern dagegen dient das Stück als Spielvorlage, um die Geschichte möglichst wirkungsvoll umzusetzen und dabei das Theaterspiel selbst in Szene zu setzen
Dabei wird in beiden Inszenierungen klar, wie raffiniert das Stück gebaut ist, und dass es sich lohnt, Dennis Kelly zu trauen: Viel szenischer Aufwand oder gesuchte Aktualisierung sind unnötig, alles steht schon im Text.
Tod oder Hoffnung?
Die unterschiedliche Herangehensweise der beiden Inszenierungen zeigt sich denn auch explizit am Ende des Stückes: In Winterthur hält Gorges Enkel, von dessen Mutter und damit seiner Tochter Mastromas nicht einmal wusste, dem alten Mann sein Elend schonungslos vor – und gibt ihm selbst den Strick, mit dem er sich umbringen kann.
Die letzte Szene in Bern gibt etwas mehr Hoffnung: Der alte Mastromas hält inne, und impliziert so einen möglichen Haltungswechsel. Zumindest im Spiel.